Ein Krieg, der Freundschaften frisst
n-tv
Vier Freundinnen wachsen im postsowjetischen Georgien auf, erleben Putsch, Krieg und die Heroinschwemme. Als sie sich 2019 wiedersehen, ist eine von ihnen tot, die anderen trennt ein Verrat. Mit "Das mangelnde Licht" hat Nino Haratischwili einen Roman geschrieben, den man nicht aus der Hand legen kann.
An einem heißen Sommerabend im Jahr 1987 verabreden sich vier Mädchen für eine Mutprobe. Sie brechen in den Botanischen Garten von Tbilissi ein und suchen sich mit einer Taschenlampe den Weg zu einem Wasserfall. Dort klettern sie auf den Felsen und stürzen sich in das Wasserbecken. Für Keto, die Ich-Erzählerin in Nino Haratischwilis neuem Roman "Das mangelnde Licht", ist dieser Moment magisch, "weil wir in unserem Zusammenhalt eine unzerstörbare Kraft bildeten, eine Gemeinschaft, die vor keiner Herausforderung mehr zurückschrecken würde".
Doch das uneingeschränkte Glück hält nicht lange an, die Mädchen wachsen im Georgien zur Zeit des Zerfalls der Sowjetunion auf. Die Freundinnen sind: Dina, die Abenteuerlustigste und Lebenshungrigste des Quartetts, die sich als junge Frau an einem Turnseil das Leben nehmen wird. Die vernünftige Ira, die auch dann, als sie schon eine Top-Staatsanwältin ist, über Nene wacht. Nene wiederum träumt von Freiheit und Liebe und wird von ihrem Onkel, einem der mächtigsten Kriminellen von Tbilissi, zwangsverheiratet. Und schließlich ist da noch die sensible Keto, die sich angesichts der Grausamkeiten um sie herum beginnt, die Oberschenkel zu ritzen.
Die vier müssen sehr schnell erwachsen werden in einem Land, in dem Putsch, Bürgerkrieg, Korruption und Mangelwirtschaft herrschen. Ständig fällt der Strom aus, im Winter ist es bitterkalt. Oft geht es ums pure Überleben. Sie erfahren hautnah, wie sich Gewalt auf den Straßen ausbreitet, wie ihre Brüder und Freunde in die organisierte Kriminalität abdriften und einem gefährlichen Ehrenkodex folgen. Einige sterben, werden ermordet oder nehmen Heroin, das in Mengen in das Land geschwemmt wird. Keine der Figuren geht ohne Wunden - egal ob physische oder psychisch - aus dieser Zeit heraus. Haratischwili, die 1983 in Tbilissi geboren wurde und seit 2003 dauerhaft in Deutschland lebt, schickt ihre Protagonistinnen buchstäblich durch die Hölle.