Beine bis zum Kinn
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Im Ludwigshafener "Tatort" verkam die Titelfigur des Stelzenmannes am Ende zu einem weinerlichen Versager. Keine Stelzen, kein Mumm. Die hölzernen Beinverlängerungen selbst haben eine jahrhundertealte Tradition.
Was wohl Sylvain Dornon vom "Tatort" gehalten hätte? Wahrscheinlich hätte er nur müde mit den Achseln gezuckt und wäre zurück in seine Backstube gegangen. Dornon war aus anderem Holz geschnitzt als der kümmerliche Kindesentführer Oliver Kelm (Ulrich Friedrich Brandhoff). 58 Tage lang, jeweils etwa 60 Kilometer, das Ganze auf Stelzen, so stakste der Bäcker aus Arcachon anno 1891 quer durch Europa, von Paris bis nach Moskau. Zwischendurch habe er den Zug genommen, so munkelte man. Tatsächlich war er in Jastrow mit der Bahn gefahren, um bei einer Zirkusveranstaltung aufzutreten, anschließend hatte er seine Wegstrecke genau dort zu Fuß wieder aufgenommen.
2875 Kilometer waren es am Ende vom Place de la Concorde bis in die russische Metropole. Es gab Sekt zum Empfang, einiges an Auftritten. Später kehrte Dornon in seine Heimatstadt Arcachon zurück und buk fortan wieder kleine Brötchen - bis er im Jahre 1900 im Alter von nur 42 Jahren verstarb.
Warum das alles? Dornon gefiel die Tradition der Stelzenstangen, der "échasses", wie sie heute heißen. Anfang des 18. Jahrhunderts hatten Hirten die Stangen benutzt, um in sumpfigen Gebieten voranzukommen und aus erhöhter Position den Überblick über die Herde zu behalten. Mit zunehmender Bewaldung und Trockenlegung wurden die Stelzen als Arbeitsinstrument obsolet, für Tänze und Aufführungen jedoch, für Rennen und Geschicklichkeitsspiele blieben die Holzstangen, auch dank Dornons herausfordernden Projekts, bis heute populär.