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Ganz normale Psychopathen
n-tv
"Die Kalten und die Toten" ist das Psychogramm zweier sehr kaputter Familien, die nach außen hin stinknormal wirken - und damit exemplarisch für die neue Stoßrichtung des "Tatorts" in Corona-Zeiten.
Als beliebtester Krimi im deutschsprachigen Raum hat der "Tatort" ja immer auch ein bisschen den Anspruch, ein Spiegel der bundesrepublikanischen Realität zu sein: In den vergangenen Jahren hinterließ die Flüchtlingskrise deshalb genauso ihre Spuren wie diverse Schreckensszenarien zum Thema Digitalisierung. Und weil in all den Lockdowns und Quarantänen seit Beginn der Pandemie so viele Menschen (manche vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben) dazu gezwungen waren, sich mal wirklich mit sich selbst zu befassen, richtet jetzt auch der "Tatort" das Scheinwerferlicht verstärkt nach innen.
Es ist jedenfalls augenfällig, dass immer mehr Fälle mit einer präzisen Ausleuchtung der seelischen Gemengelage ihrer Protagonisten zu punkten versuchen - gerade auch was die Graubereiche zwischen Tätern und Opfern angeht, wo es besonders wehtut. Erst vor wenigen Wochen war etwa zu sehen, wie sich in "Der Reiz des Bösen" reihenweise Frauen Gewaltverbrechern und Mördern hingaben und dabei teilweise selbst Verbrechen begingen, Stichwort Hybristophilie. Nur kurz darauf sahen die Zuschauer einer Stalkerin beim Morden mit Nanobots zu, und auch der neue "Tatort" aus Berlin beschäftigt sich mit Psychopathen, auch wenn die auf den ersten Blick weniger spektakulär daherkommen: Es sind nämlich die von nebenan. Vielleicht entfaltet der Streifen auch gerade deswegen nochmal eine ganze Ecke mehr Wumms - und Gänsehaut.