Warum bestehen wir auf Mallorca-Urlaub und SUV?
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Längst wissen wir, dass Flugzeuge Unmengen an CO2 ausstoßen und SUV echte Klimasünder sind. Auf seine Reise in den Süden oder den Geländewagen will trotzdem kaum einer verzichten. Gesellschaftsnormen lassen uns kaum eine andere Wahl, sagt Gerhard Reese. Der Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau erklärt im Interview mögliche Gründe für unser paradoxes Verhalten - und warum man in der Klimakrise nur bedingt auf individuelle Verantwortung setzen kann.
ntv.de: Die Bedrohung durch den Klimawandel ist uns allen bekannt. Hitzewellen, Dürren und Starkregen wie im Ahrtal werden wahrscheinlicher - erst recht, wenn wir nichts dagegen tun. Trotzdem bestehen wir auf unseren Mallorca-Urlaub, den SUV oder die Alufolie. Wie passt das zusammen?
Gerhard Reese: Das ist die komplizierteste Frage. Es gibt nicht die eine Antwort, warum das bei allen Menschen so ist. Aber es gibt Aspekte, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Einfluss haben: Wenn ich in einem Haushalt groß geworden bin, in dem immer alles mit Folie eingepackt wurde, dann werde ich das auch weiter machen. Wenn es schon immer jede Woche sieben Mal Fleisch gab, dann werde ich das auch so fortführen. Wenn ich immer mit dem Auto zur Schule gebracht wurde, ist es normal, dass das Auto allgegenwärtig ist. Hier wird direkt sichtbar: Es gibt eine Reihe an Gewohnheiten, die mit dem sozialen Kontext, in dem wir groß werden, interagieren. Wenn meine ganzen Freunde in den Urlaub fliegen, habe ich das Gefühl, dass ich irgendetwas verpasse, wenn ich einfach an die Ostsee oder in den Thüringer Wald fahre. Genauso ist es, wenn meine Nachbarn sich ein großes, neues Auto kaufen. Vielleicht denke ich dann: Oh, das hat ja bestimmt gute Gründe, vielleicht sollte ich das auch machen. Es ist auch eine verfestigte Norm in Deutschland, mit 18 Jahren den Führerschein zu machen. Eine große Rolle spielen dabei Narrative. Wir leben etwa in einer Gesellschaft, die Konsum sehr belohnt. Altmaier sagte zum Beispiel letztes Jahr in der "Bild": "Einkaufen ist eine patriotische Aufgabe." Man sieht: Der Konsum wird über alles gestellt. Wir sollen kaufen, wir sollen reisen. Der Standard - das, was wir gesellschaftlich machen sollen - ist also oft genau das Gegenteil von klimabewusstem Verhalten. Deswegen ist es zu kurz gedacht, nur auf die individuelle Verantwortung zu setzen. Es kann jeder von uns einen Beitrag leisten, aber wir müssen das Ganze viel systematischer denken.
Öl, Gas und Kohle treiben den Klimawandel kräftig an. Durch die Nutzung dieser fossilen Brennstoffe werden laut einer Studie mehr als 37 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen - erneut ein Rekordwert. Um jetzt noch das 1,5-Grad-Ziel zu schaffen, müssten Emissionen schon bald auf Null gesenkt werden.