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"Ein Kollaps steht Russlands Wirtschaft nicht bevor"
n-tv
Den Einmarsch Russlands in die Ukraine vor einem Jahr bestrafen die EU und ihre Verbündeten mit den heftigsten Sanktionen, die ein Land wohl jemals gesehen hat. Die Wirtschaft ächzt, doch die erhoffte Schockwirkung bleibt aus. Warum? Über das "russische Experiment" und warum die Kreml-Regierung immer noch durchhält, spricht ntv.de mit dem Osteuropa-Experten Janis Kluge.
ntv.de: Im Mai - drei Monate nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine - haben Sie gesagt, dass die Sanktionen "drastisch werden für Russland". Tatsächlich hält Russland aber überraschend gut stand. Wie erklären Sie diese Fehleinschätzung?
Janis Kluge: Ich würde weiterhin an dieser Einschätzung festhalten. Die Wirkung der Sanktionen ist drastisch, allerdings entfaltet sie sich deutlich langsamer und einige extreme Szenarien sind nicht eingetreten. In den ersten zwei Wochen nach Einführung der Sanktionen wankte das russische Bankensystem, eine Finanzkrise schien im Bereich des Möglichen. Aber nach einigen Tagen sind die Bank Runs, also die Menschenschlangen vor den Geldautomaten, dann wieder verschwunden, die russische Zentralbank hat die Liquiditätsprobleme bei den russischen Banken wieder in den Griff bekommen.
Die Geldpolitik war also ein wichtiger Faktor, aber niemand hatte sie auf dem Schirm?
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Im Kampf gegen die hohe Inflation in den Jahren 2022 und 2023 setzt die Europäische Zentralbank die Leitzinsen hoch, um die Preise stabil zu halten. Dafür müssen die Währungshüter ein Minus von fast acht Milliarden Euro in den Bilanzen ausweisen. Das ist der höchste Verlust in der Geschichte der EZB.
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Die Marke mit dem Stern glänzt weniger hell als zuletzt. Der wichtige Markt China ist zunehmend ein Problem. Die Nachfrage nach Steckerautos liegt hinter den Erwartungen. Zweimal muss Mercedes die Erwartungen bremsen. Am Ende sackt das Ergebnis um ein Drittel ab. Die Dividende wird gekürzt. Schnelle Besserung ist nicht in Sicht.