"Manche Orte prägen uns, lange bevor wir sie verstehen"
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Monatelange Dunkelheit, vergiftete Luft und das Wissen, dass dieser Ort von Menschen aufgebaut wurde, die gegen ihren Willen dorthin gebracht wurden - all das prägte die Kindheit von Gulia Groenke. Die Künstlerin stellt in den Berliner Kant-Garagen aus und hinterlässt tief beeindruckte Besucher. Mit ntv.de spricht sie über Permafrost, Heimat und Humor.
Berlin Kantstraße, Restaurants, so weit das Auge reicht, vom Lovis bis zur Paris Bar und dazwischen 1000 Asia-Läden wie das 893 Ryotei, das Funky Fish oder Madame Ngo, das Kuchi, Le Duc und so viele andere. Sie wechseln sich ab mit Galerien, schicken Blumenläden und Orten, an denen Menschen Torten für besondere Gelegenheiten kaufen. Und Nagelstudios - die gibt es auch zuhauf. Dazwischen die Kant-Garagen, in denen man nicht mehr parken kann. Aber das passt zu der Straße, die sich monatlich neu erfindet und in der seit Jahren um jeden Millimeter für Fußgänger, Autofahrer (Autoparker) und Radfahrer gekämpft wird. In den Kant-Garagen, im obersten Stockwerk, stellt momentan - und noch bis Ende Januar - Gulia Groenke ihre Werke aus. Die Ausstellung heißt "Minus 10" und hat nichts mit den - gefühlten - Berliner Temperaturen im Winter zu tun.
"Manchmal stellen wir uns als Kinder Fragen, auf die wir erst viele Jahre später Antworten finden. Für mich begann diese Reise mit der Frage: 'Warum bin ich hier?'", erzählt sie ntv.de beim Besuch vor Ort. Und als ob die Bilder nicht schon aussagekräftig genug wären, werden sie gewissermaßen zusammengehalten von dem unvergleichlichen Ambiente dieser ehemaligen Garage, in der früher Reifen quietschten und verbotene Rennen gefahren wurden.
Geboren wurde Groenke 1974 in Norilsk, einer Stadt im nordsibirischen Norilsk in der Sowjetunion, die sich nicht leicht erklären lässt: "Sagen wir mal so: Ich wurde früh mit Extremen konfrontiert - monatelange Dunkelheit, vergiftete Luft und das Wissen, dass dieser Ort von Menschen aufgebaut wurde, die gegen ihren Willen hierher gebracht worden waren - all das prägte meine Kindheit und meine Wahrnehmung." In ihrer Kindheit und Jugend lernte sie aus erster Hand die widrigen Umstände eines Lebens im Permafrost und in einer Industriestadt kennen, die aus den stalinistischen Arbeitslagern der 1930er- bis 1950er-Jahre, den sogenannten Gulags, hervorging. Im jungen Erwachsenenalter zog es sie daher schnell in nach Westeuropa, wo sie sofort Fuß fasste.