Keine Schuld, aber Verantwortung
n-tv
Am Montag gedenken Bundespräsident Steinmeier und Präsident Macron im französischen Oradour-sur-Glane des Massakers, das Deutsche dort vor achtzig Jahren verübten. Mit dabei: die Enkelin eines Überlebenden und die Enkelin eines Mörders. Und Antworten auf die Frage nach Schuld und Verantwortung.
Alle Kriegsverbrechen sind fürchterlich. Aber es gibt Kriegsverbrechen, die sind so grauenhaft, dass sie das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigen und sich tief in das kollektive Gedächtnis eingraben. Das Massaker von Oradour-sur-Glane gehört sicher dazu. Vor achtzig Jahren hat die deutsche Waffen-SS nahezu alle Einwohner des französischen Dorfes ermordet und den Ort völlig zerstört. Unter Umständen, so grausam und unmenschlich, dass sie einem bis heute den Atem nehmen. Männer, Frauen und Kinder wurden erschossen oder lebendig verbrannt. Am Abend des 10. Juni 1944 waren 643 Menschen tot. Das gesamte Dorf stand in Flammen, lag später buchstäblich in Schutt und Asche.
Nur insgesamt 36 Menschen haben das Massaker von Oradour überlebt. Sie versteckten sich unter den Leichen ihrer Angehörigen, ihrer Nachbarn und Freunde, oder sie waren an diesem Tag durch Zufall nicht zuhause. Einer der Überlebenden war der damals 19-jährige Mechaniker Robert Hébras. Seine Mutter Marie, seine 22-jährige Schwester Georgette und seine Schwester Denise, gerade neun Jahre alt, starben. Sein Vater überlebte, weil er einem befreundeten Bauern außerhalb von Oradour bei der Arbeit half, und seine älteste Schwester Leni, die bereits verheiratet war und nicht mehr in ihrem Heimatdorf wohnte.
Robert Hébras hätte jedes Recht gehabt, die Deutschen zu hassen. Die deutschen Besatzer hatten seine Mutter und zwei seiner Schwestern brutal ermordet, sie zerstörten sein Dorf und töteten fast alle Menschen, die er von klein auf kannte. Aber Robert Hébras wählte einen anderen Weg. Nach dem Massaker in seinem Heimatdorf schloss er sich zunächst dem Widerstand gegen die Deutschen an, nach dem Krieg sagte er als Zeuge in Kriegsverbrecherprozessen aus. Später, als der Krieg längst vorbei, aber noch lange nicht vergessen war, macht sich Robert Hébras als Zeitzeuge und Buchautor einen Namen. Bis kurz vor seinem Tod im Februar 2023 führte der hochbetagte Franzose Besucher durch die Ruinen seines einstigen Heimatdorfes. Vor allem Schülern und Studenten widmete er viel Zeit, er gab Interviews, in denen er von dem schrecklichen Massaker berichtete. Dabei schonte er die Täter nicht, aber er hasste nicht: nicht die Nation, der sie angehörten, und nicht ihre Nachkommen, ihre Kinder und Enkel.