Schlimmer Verdacht: Lindner hat recht
n-tv
Das "Wirtschaftswende"-Papier von Finanzminister Lindner birgt für die Ampel einmal mehr eine Zerreißprobe. Was immer von Allüren und Zeitpunkt zu halten ist: Die Fragen, die der FDP-Chef aufwirft, werden bleiben. Viele seiner Antworten auch.
Gut möglich, dass Ende der kommenden Woche Donald Trump gewählter Präsident der USA ist und Deutschland keine Regierung mehr hat. Daran gemessen ist fahrlässig bis frivol zu nennen, was der Finanzminister Christian Lindner dieser Tage aufführt: Ein Papier voller wirtschafts- und finanzpolitischer Vorschläge, die wie Schläge für seine Partner sind. Die Liste liest sich wie das Eröffnungspapier, mit dem eine starke liberale Partei in Koalitionsverhandlungen geht. Tatsächlich aber ist die FDP nicht stark und die Koalition nicht am Anfang, sondern am Ende.
Was soll es also? Die Regierungspartner immerfort zu nerven - und von ihnen genervt zu werden - ist das exakte Gegenteil dessen, was die Bürger oder "die Wirtschaft" in ernsten Zeiten erwarten. Einen verfassungsgemäßen Haushalt zusammenzustellen, ist erkennbar schwer genug, da sollte man die eigenen Kräfte und die Geduld der anderen nicht mit Mätzchen strapazieren. Wenn es allerdings mehr ist, nämlich ein Scheidungspapier wie jenes von Otto Graf Lambsdorff 1982, dann ist es doppelt riskant für den heutigen FDP-Chef.
Damals hatte das Papier so viel Kraft, weil die FDP entlang ihrer wirtschaftspolitischen Standpunkte nahtlos den Kanzler wechseln konnte: von Schmidt zu Kohl, die Mehrheiten waren so. Heute jedoch wartet für die Liberalen an der nächsten Ecke nicht ein anderer Kanzler, sondern der Wähler. Und da selbst eine noch so kontrollierte Sprengung der Regierung ihre Sprengung bleibt, muss der, der auf den letzten Knopf drückt, es hernach den entnervten Bürgern erklären. Viel Spaß dabei.