"Als die Proteste ausbrachen, herrschte totale Kopflosigkeit"
n-tv
Unsere Erinnerung an den 17. Juni 1953 ist getrübt. Bis heute wirkt nach, dass der Aufstand in der DDR als konterrevolutionärer Putschversuch diffamiert wurde, sagt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk im Interview mit ntv.de. Und dass in Westdeutschland aus einem Volksaufstand ein Arbeiteraufstand wurde, der auf Ost-Berlin beschränkt war. Dabei erfassten die Proteste gegen die SED die gesamte DDR. Alles fing damit an, dass die Einheitspartei Fehler eingestand. "Was die Leute in Suhl oder in Kap Arkona dadurch merkten war, dass ihr eigenes Erleben kein Einzelfall war, sondern den ganzen Osten betraf", so Kowalczuk.
ntv.de: Der Volksaufstand brach genau in dem Moment los, als die SED nach Stalins Tod Korrekturen ankündigte. Warum ausgerechnet dann?
Ilko-Sascha Kowalczuk: Das Eingeständnis von Fehlern durch die SED erfolgte nicht freiwillig, sondern auf Druck von Moskau. Dort war es nach Stalins Tod am 5. März 1953 zu Nachfolgekämpfen gekommen. In den Auseinandersetzungen im Kreml spielte die Deutschlandfrage eine Rolle, aber auch der Zustand des gesamten osteuropäischen Herrschaftsbereichs der Sowjetunion. Deshalb wurde der "Neue Kurs", der SED-Chef Walter Ulbricht und DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl Anfang Juni in Moskau diktiert wurde, mit gewissen Abwandlungen auch Ungarn und der Tschechoslowakei aufgedrückt, wo es ganz ähnliche Krisenerscheinungen gab.
Worum ging es beim "Neuen Kurs"?