
Was Europa aus dem 19. Jahrhundert lernen kann
n-tv
Nach den Ereignissen der vergangenen Wochen zeichnet sich eine historische Veränderung der globalen Ordnung ab. Was bedeutet das für Europa? Wir können aus der eigenen Erfahrung mit einer multipolaren Ordnung viel lernen.
Der Schock der letzten Wochen wird von vielen als ein Abschied von einem gemeinsamen Westen verstanden, von einer langen, engen transatlantischen Beziehung, von einem Europa in einem internationalen System, in dem es sich sicher fühlte. Wohin der Weg gehen wird, ist noch nicht entschieden. Es könnte ein bipolares System entstehen, mit China und den USA als den beiden Supermächten, mit Europa und Russland als Seitenstützen und einer erneuten Teilung Europas. Es könnte aber auch ein multipolares System entstehen, in dem Europa eine der vier oder fünf größeren Mächte der Welt wird, neben den USA, China, Russland und Indien.
Derzeit sieht es mehr nach multipolaren internationalen Beziehungen aus. Europa hat in seiner Geschichte beides erlebt: ein bipolares System im Kalten Krieg und ein multipolares System im 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Zu beiden Optionen kann es Schlüsse aus der eigenen Vergangenheit ziehen.
Auf der einen Seite steht die Erfahrung mit der bipolaren Welt des Kalten Krieges: Sie enthielt viele negative Erfahrungen: die Teilung Deutschlands und die Mauer in Berlin, die Aufteilung der ganzen Welt in Einflusszonen der USA und der UdSSR, mit heißen Kriegen in China, in Korea, in Vietnam und kleineren Konflikte in Afrika und Südostasien, die heute meist vergessen sind; die ideologischen Kämpfe, die oft in Intoleranz gegenüber vermeintlichen fünften Kolonnen ausarteten, im sowjetischen Einflussbereiche sicher schärfer als im Westen.