Ukraine-Krieg – Die Qualen der Geburt
Frankfurter Rundschau
Erwachsenwerden im Laufe der Revolutionen: Wie das ukrainische Identitätsgefühl entstand. Von Zanna Sloniowska
Ich wurde nicht als Sowjetmensch geformt, weil das Sowjetimperium zu zerfallen begann, als ich kaum zehn Jahre alt war. Ich bin das Kind großer Veränderungen, das Kind einer permanenten Krise, das lange und mühsam nach seiner eigenen Identität suchen musste. Geprägt hat mich zweifellos Lemberg, meine Geburtsstadt, die 600 Jahre zu Polen gehörte, die im Laufe des 20. Jahrhunderts gezwungen wurde, siebenmal ihre Nationalität zu wechseln. Als ich klein war, war es eine sowjetische Stadt, und als ich aufwuchs, wurde es zum Zentrum des ukrainischen Unabhängigkeitsdenkens.
In diesen komplizierten Wendungen der Geschichte war es nicht einfach, sich zurechtzufinden, zumal meine ethnische Herkunft gemischt ist. Als Teenager zog ich nach Polen. Ich habe es nicht als Auswanderung empfunden – ich kannte die polnische Sprache gut, ich bin häufig zwischen meiner alten und meiner neuen Heimat hin und her gereist. In meiner neuen Heimat stellte sich die Identitätsfrage nicht – alle waren Polen, regionale Unterschiede oder Akzente spielten keine Rolle – und das verstärkte meine Angst, keine eigene Identität zu haben. Aber dann beschäftigten mich ganz andere Dinge: meine Jugend, die Geburt meiner Kinder, die Literatur ...
2004 brach nach den manipulierten Wahlen in der Ukraine die Orange Revolution aus – unblutig, geprägt von der Jugend. Die Städte Krakau und Warschau tanzten mit Kiew und Lemberg, und sie trugen alle die gleichen Farben. Ich hatte fröhliche orangefarbene Schleifen am Revers, und gleichzeitig trug ich zum ersten Mal in meinem Leben eine gelb-blaue Flagge – könnte das meine sein?
Diese Revolution, sagte damals meine Freundin Ksénia, ist wie eine Empfängnis – unsere Empfängnis als ukrainische Frauen. Es erschien mir ein interessanter Gedanke. Daraus entstand mein erster Roman „Das Licht der Frauen“.
Dann war da noch das alltägliche Leben in Polen, das Schreiben, die Kunst, die Universität, dazu die immer zu langen Schlangen an der polnisch-ukrainischen Grenze. Ich habe mich immer mit einem Seufzen gefragt, wann sie diese unerträglichen Grenzen endlich beseitigen würden. Wann würde es ein einfacher Durchgangsort sein zwischen Welten, Sprachen und zwischen den freilaufenden ukrainischen Hühnern und den in Käfigen versteckten polnischen? Ein Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union wäre gewissermaßen eine Rückkehr in die Zeit der Zweiten Polnischen Republik, als Polen und Ukrainer Seite an Seite lebten. Auch mit den Juden, doch es sind nicht mehr viele unter uns.