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Scholz schrieb Geschichte - bis die Geschichte ihn abschrieb
n-tv
Seine Wahl zum Kanzler glich einem historischen Triumph. Seine Amtszeit ist wegen des russischen Angriffskriegs schon jetzt historisch. Doch was bleibt vom Kanzler Olaf Scholz? Über einen Regierungschef, der es schwer hatte - und sich nicht leichter machte.
Olaf Scholz' letzter Termin vor der Schmach: natürlich Dortmund. Dort im Pott, wo die Sozialdemokratie noch Puls hat. Dort, wo die SPD auch bei dieser Bundestagswahl noch ein paar Wahlkreise gewinnt. Dort veranstalten die Sozialdemokraten am Freitagabend das letzte große Wahlkampfevent vor der Wahl. Die Abschlusskundgebung ausgerechnet im Ruhrgebiet, wo die "Hart, aber herzlich"-Menschen so ganz anders ticken als der nordisch kühle Kanzler aus Hamburg. Ausgerechnet Nordrhein-Westfalen, wo der SPD-Landesverband den Amtsinhaber als erneuten Kanzlerkandidaten verhindern wollte. Dort endet der intensive Wahlkampf. In Dortmund geht die Reise von Olaf Scholz als neunter Kanzler der Bundesrepublik zu Ende, vorzeitig und schmählich.
Scholz hat dieses höchste deutsche Regierungsamt immer gewollt. In einem Podcast der "Zeit" hat der 66-Jährige kürzlich erzählt, wie sehr ihn der plötzliche Wechsel aus dem Hamburger Rathaus ins Bundesfinanzministerium Anfang 2018 erleichtert habe. Sonst hätte er sich angesichts der anstehenden Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2018 erklären müssen zur Frage, ob er nicht 2021 das Bundeskanzleramt anstreben würde. Und das wollte er. Trotz miserabler Umfragewerte für die SPD im Bund traute Scholz sich damals zu, nächster SPD-Kanzler zu werden - nach Willy Brandt, nach seinem Vorbild und Freund Helmut Schmidt, nach Gerhard Schröder.
Es gelingt ihm auch. Der Wahlsieg der SPD im September 2021 ist der vielleicht größte Sieg über die Demoskopie und Medienlandschaft, die einem Politiker in der deutschen Nachkriegsgeschichte gelungen ist. Zuvor hatte er schon die Hamburger Bürgerschaftswahlen zweimal überragend gewonnen. Das Selbstbewusstsein des 1,77 Meter großen Sozialdemokraten wächst mit den 25,7 Prozent zur Bundestagswahl noch einmal gehörig. Dabei ist Scholz, den die eigene Partei nicht zum Vorsitzenden haben wollte, zu keinem Zeitpunkt ein Herzenskandidat. Die Wähler versprechen sich vom Kopfmenschen Scholz vor allem seriöses Regierungshandwerk, weil sie das seinen Gegenkandidaten nicht zutrauen.