Mirko Bonné: „Elis in Venedig“ – Und tief erklingt das „O“
Frankfurter Rundschau
Vom Verpuffen und Atmen der Bilder – ein Band versammelt eine Auswahl der Gedichte Mirko Bonnés aus 20 Jahren.
Machen wir es einmal ganz offiziell und heißen – gemäß dem Titel eines Gedichts – hier alle „Willkommen!“: Kinder, Greise, „Cafénymphen“, Damen hinter den Gardinen, Jäger, Sammler und „Terrier aller Herren Länder“. Wer so lange Begrüßungen etwa von politischen Reden kennt, weiß, dass sie stets nett gemeint sind, aber doch zumeist ermüden. So verhält es sich auch mit einigen Poemen Mirko Bonnés, der sichtbar eine Schwäche hat und pflegt für die Aufzählungen und Sammelsurien. Es wuchert gehörig in seiner Dichtung. Und die Beliebigkeit so mancher Reihungen von Eindrücken lässt einen klareren Zuschnitt wünschen.
Man muss sich durch diesen Textdschungel, der Miniaturen aus zwei Jahrzehnten versammelt, also mit etwas Geduld bewegen, um auf Lohnenswertes zu stoßen. Aber man wird fündig. Mitunter treten wir dann in die Modelleisenbahnszenerie einer Kindheit ein, hören das letzte warme Wort eines Ich an ein Du inmitten eines Kälteeinbruchs. Oder wir wechseln in ein „amphibisches Futur im Singular“, in dem sich alles im „Schwebestand“ hält, zwischen Wasser und Land, Schweigen und Reden.
Insbesondere in diesem Dazwischen kommt ein bedeutsames Momentum im Schreiben des 1965 geborenen Lyrikers zum Ausdruck, nämlich der Verzicht auf Statik zugunsten eines permanenten In-Bewegung-Seins. Alles ist im Fluss, ferner Teil einer „Wortlava“. Wo sie austritt, reißt sie wie in dem Poem „Strombolianisch“ Einsamkeit, Liebe, Jamben, Feuer und allerlei Mythen mit sich, ganz so, als gäbe es kein Morgen mehr.
Und tatsächlich hebt der Schriftsteller, der neben zahlreichen Lyrikbänden ebenso mit Romanen wie „Lichter als der Tag“ (2017) und zuletzt „Seeland Schneeland“ (2021) in Erscheinung getreten ist, immer wieder gern das Zeitregime auf. Mehrfach beschwören seine Gedichte das große Hier, das unmittelbare Erleben des Augenblicks. In ihm finden Verwandlungen aller Art statt. Brennnessel werden zu Zeichen, Bergmänner zu Wegerich, Regenschirme zu wurzelschlagenden Pflanzen.
Die Realität ist schlichtweg nicht genug, vielmehr dient sie dem Autor lediglich als Ausgangspunkt für eine poetische Wahrnehmungsform, die das Sichtbare beständig in eine Seelenlandschaft überführt. Wo Äußeres in Inneres mündet, stellt übrigens der Mund einen metaphorischen Schwellenraum dar. Er vermag bei seiner Öffnung das charakteristische „O“, das zudem den Titel des programmatischen, ersten Gedichts des Bandes bezeichnet, auszusprechen. Mit diesem Laut vernehmen wir den orphischen Beginn aller Poesie, die Magie schaffen will: „Auf den Lippen / Vollzieht sich / In dir, ein Daheim ohne Worte selbst der Ort, / Ein porentiefer Zauber, ein Ariel.“