Im Zollamt des MMK: Das geheime Potenzial des Schienenhülsenapparats
Frankfurter Rundschau
John Cages Museumcircle im Zollamt des Museums für Moderne Kunst.
Auf den ersten Blick wirkt das zugegebenermaßen ausgesprochen seltsam: Objekte stehen auf Podesten im Raum, Bilder hängen an der Wand, und man versteht nicht so recht, warum die Bilder gerade genau so hängen, die Podeste nicht anders platziert wurden. Die Zusammenstellung mutet auf irritierende Weise schräg an. Was hat eine Haarlocke von Johann Wolfgang von Goethe mit einem Werbeprospekt der Stadtsparkasse Frankfurt von 1955 zu tun? Vielleicht geht es um die üppige Frisur von Friedrich Stoltze, der in dem Heftchen abgebildet ist. Womöglich soll hier das Patriarchale, Altväterliche, das eine üppige Herrenhaarpracht oftmals ausstrahlt, herausgearbeitet werden, man denke nur an Thomas Gottschalk.
Oder dieser dreiteilige Tafelaufsatz aus Höchster Porzellan, der mit tanzenden Putten verziert ist und „Die vier Jahreszeiten und die vier Elemente“ (1785) darstellt. Was hat der neben einem „Schienenhülsenapparat“ aus den fünfziger Jahren zu suchen? Ein solches orthopädisches Gerät diente zur Stabilisierung des Beines zum Beispiel bei Kinderlähmung. Nun, beides hat mit Körperlichkeit zu tun, einmal idealisiert und einmal brutal real. Die Zusammenhänge sind also vorhanden, sobald man ein wenig nachdenkt, und dann kann man mit seinen Interpretationen natürlich noch viel weiter gehen. Steht der Schienenhülsenapparat nicht geradezu idealtypisch für unsere gesundheitlich so angeschlagene Gesellschaft? Dann wäre der Puttentanz vielleicht ein Verweis auf eine vergleichsweise unbeschwerte Welt, die wir für immer verloren haben.
Wer die Ausstellung „John Cage Museumcircle“ im Zollamt des Frankfurter Museums für Moderne Kunst betritt, hat zwei Möglichkeiten: Entweder man begibt sich direkt zu den Exponaten und erkundet ihr Potenzial, das unter anderem in der eigenwilligen Kombination liegt – oder man informiert sich über das Konzept. Beides ist reizvoll.