Hessens Verfassungsschutz hatte Neonazis nicht auf dem Schirm – die Polizei schon
Frankfurter Rundschau
Im hessischen Verfassungsschutz fehlten Informationen zu Neonazis, über die die Polizei verfügte. Das wird bei Aussagen von Beschäftigten des Geheimdienstes deutlich.
Wiesbaden – Der hessische Verfassungsschutz hat die beiden Neonazis Stephan Ernst und Markus H. vor dem Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) im Juni 2019 aus den Augen verloren. Dabei hätte es viele Möglichkeiten gegeben, auf sie aufmerksam zu werden.
Das wurde bei der Befragung von zwei Mitarbeiterinnen und einem Mitarbeiter des Geheimdienstes im Lübcke-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags am Freitag (04.03.2022) in Wiesbaden deutlich. Selbst der Hinweis des ehemaligen Amtsleiters Alexander Eisvogel auf einem Vermerk von 2009, bei Ernst handele es sich um einen „brandgefährlichen Mann“, hatte anscheinend keine Konsequenzen.
Ernst wurde Anfang 2021 für den Mord verurteilt. H. hatte Ernsts rechtsextremes Weltbild unterstützt und seinen Hass gegen Lübcke mit angefacht.
Beide hatten gemeinsam 2015 eine Bürgerversammlung in Lohfelden besucht, bei der Lübcke für die Aufnahme geflüchteter Menschen warb. H. empörte sich und stellte ein Video mit einem Ausschnitt von der Versammlung ins Netz. Es stachelte die rechte Szene gegen Lübcke auf.
Der Verfassungsschutz nahm dieses Video nicht zur Kenntnis, von der Polizei wurde es anscheinend nicht an den Geheimdienst weitergeleitet. Von dem Video hätten sie erst nach dem Mord an Walter Lübcke erfahren, sagten zwei Verfassungsschützerinnen im Untersuchungsausschuss aus. Beide waren zeitweise für die Auswertung von Erkenntnissen über die hessische Neonaziszene zuständig, eine von ihnen als Dezernatsleiterin.