
Auschwitz-Prozess war "Ansammlung bürgerlicher Mitbürger"
n-tv
Als 1963 der Auschwitz-Prozess in Frankfurt beginnt, ahnt Staatsanwalt Wiese nicht, dass ihn dieses Verfahren ein Leben lang verfolgen wird: In einer Zeit, in der viele Menschen einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollen, kommt die ganze Hölle des Konzentrationslagers ans Licht.
Dass er vor dem Prozess seines Lebens stehen würde, das ahnte der junge Staatsanwalt Gerhard Wiese nicht, als ihm der Leiter der Frankfurter Staatsanwaltschaft im Spätsommer 1962 mitteilte, dass er das sogenannte Auschwitz-Team verstärken sollte: Jenes Juristenteam, das den Frankfurter Auschwitz-Prozess vorbereitete, der im Dezember 1963 begann. Doch bereits am 16. April 1963 war mit der Einreichung der 700 Seiten langen Anklageschrift gegen 23 frühere SS-Angehörige und einen Funktionshäftling der erste Schritt für den historischen Prozess getan.
Denn der erste Frankfurter Auschwitzprozess war der größte Strafprozess der Nachkriegszeit in Deutschland und ein wichtiger Schritt der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen in der noch jungen Bundesrepublik. Die Akten sind heute im Hessischen Staatsarchiv gelagert, 2017 wurden sie ins Weltdokumentenerbe der UN-Kulturorganisation Unesco aufgenommen. "Die Vorgabe von Fritz Bauer war, dass er eine Anklage quer durch das Lager haben wollte, vom Kommandanten bis zum Häftlingskapo", erzählt Wiese, der inzwischen 94 Jahre alt ist.
Fritz Bauer war der damalige hessische Generalstaatsanwalt, der die Auschwitz-Prozesse erst zustande gebracht hat - und selbst ehemals verfolgter Jude während der Nazizeit war. Er sei "der Mann im Hintergrund" gewesen, so Wiese. Es habe natürlich Besprechungen und Gespräche über den Prozess gegeben. Im Verfahren selbst sei Bauer aber nicht aufgetreten. Und noch etwas sei dem Ankläger wichtig gewesen: "Er hat dafür gesorgt, dass junge Staatsanwälte das machen und keine Staatsanwälte, die vor 1945 schon im Amt waren."