Attentat auf Tatarski als nächster Meilenstein? Wie Putin schon einmal „Terror“ zum Aufstieg nutzte
Frankfurter Rundschau
In Russland ist von „Terror“ die Rede - das alarmiert Beobachter: Wladimir Putin hat Macht und Repression schon einmal auf diesem Begriff aufgebaut.
Frankfurt – Ein mutmaßlicher Sprengstoff-Anschlag mitten in St. Petersburg hat am Sonntag (2. April) den Kriegsblogger Wladlen Tatarski das Leben gekostet. Es scheint durchaus denkbar, dass weitere Erschütterungen und Druckwellen folgen – in der russischen Gesellschaft. Denn der Kreml bezichtigt unter anderem die Opposition um den inhaftierten Alexej Nawalny der Tat. Und Politik mit vermeintlichem oder echtem Terror hat in Wladimir Putins Präsidentschaft eine lange Tradition. Sie ist Kritikern zufolge sogar ein Grundstein seiner Macht.
Insofern könnten die Wortmeldungen in den Tagen nach dem Attentat aufhorchen lassen. „Der Terrorismus ist zurück auf unseren Straßen, in unseren Städten“, erklärte Dmitri Medwedew auf Telegram. Der einstige Hoffnungsträger der liberaleren Kräfte in Russland ist im Ukraine-Krieg vor allem als Absender drastischster Drohungen aufgefallen. Auch diesmal feuerte er gen Opposition und gen Westen. Die vom Westen unterstützte „nicht-systemische Opposition“ befinde sich im Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Man werde sie „ausrotten“.
Unflätige Vergleiche mit Tieren und drastische Ankündigungen aus Medwedews Munde ist der Westen längst gewohnt. Und doch bleiben Fragen offen: Deutete der Hardliner eine neue Eskalation im Kampf gegen Kritiker im Land an? Oder neue Argumente für eine Attacke gegen den Westen?
Dass Putin eine angebliche innere Bedrohung zum Kampf gegen seine Gegner nutzt, ist nichts Neues. Auch in einen Militäreinsatz ist der Kreml-Chef auf dieser Basis schon einmal gezogen. Das entscheidende Stichwort lautet „Tschetschenien“. Explosionen in Moskau 1999 schrieb der Kreml tschetschenischen Terroristen zu. In der Folge ritt Putin auf einer „patriotischen Welle“ zu „unschlagbarer Popularität“, wie Die Zeit 2007 analysierte. Und an einmal erfolgreichen Strategien hält Putin gerne fest, wie der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow in seinem Buch „Putinland“ aufzeigte. Auch der Ukraine-Krieg könnte als erweiterte Neuauflage der Krim-Annexion einem Muster zur innenpolitischen Stärkung gefolgt sein – wenn auch nicht mit dem geplanten Ausgang.
Putins Aufstieg, aber auch die wachsenden Repressionen sind jedenfalls eng an das Thema „Terror“ und Tschetschenien geknüpft. 1999 war Putin noch Ministerpräsident und zog unter diesem Motto in einen blutigen Krieg in der abtrünnigen Republik. Im Folgejahr wurde er zum Präsidenten gewählt und ging unter anderem gegen missliebige Medien in Russland vor. Im In- und Ausland gab es Zweifel an den Ermittlungsergebnissen zu den tödlichen Wohnhausexplosionen. Ausgeräumt wurden sie nie: Die Regierung unterdrückte weitere Nachforschungen; Mitglieder einer parlamentarischen Ermittlungskommission kamen ums Leben - etwa der liberale Sergej Juschenkow.