„Ein nahezu perfekter Täter“ & „Identitäten“: Bewegung zwischen den Kampflinien
Frankfurter Rundschau
Während der Philosoph Pascal Bruckner die Auswüchse der Identitätspolitik attackiert, versuchen sich Jan Feddersen und Philipp Gessler an der Rettung linker Ideale
Im Jahre 2018, so schildert es der französische Philosoph Pascal Bruckner in seinem soeben erschienenen Essay „Ein nahezu perfekter Täter“, reichten zwei US-amerikanische Akademiker bei der Zeitschrift „Sociology of Race and Ethnicity“ einen Aufsatz ein, der aus Versatzstücken von Hitlers „Mein Kampf“ bestand. Lediglich das Wort Jude sei darin durch das Wort Weißer ersetzt worden. Der Essay sei von der Zeitschrift zwar abgelehnt worden, habe aber das ausdrückliche Lob mehrerer Wissenschaftler erhalten, die ihn für bare Münze nahmen. Einer lobte: „Dieser Artikel hat das Potenzial, ein wichtiger und einzigartiger Beitrag für Forschungsliteratur zu werden, die sich mit den Mechanismen der Bewahrung weißer Vorherrschaft beschäftigt.“ Hitler als willkommener Ratgeber für die aktuellen identitätspolitischen Positionskämpfe?
Es wäre leicht, Bruckners Analyse, die sich in bissiger Diktion über die „Konstruktion des weißen Sündenbocks“ hermacht, als Textproduktion der Befangenheit abzutun. Ein weiterer alter weißer Mann, der nicht verwinden kann, an den Rand jener Diskurse gedrängt zu werden, die er bald ein halbes Jahrhundert lang entscheidend geprägt hat. Bruckners philosophische Fabulierlist und seine Kampferfahrung aus vielen Debatten aber lassen seinen Einwurf als herzhafte Intervention erscheinen, die mehr will als nur die wohlfeile Empörung über das Gendersternchen und die Genugtuung über die Belehrung angriffslustiger junger Menschen.
Schlagartig berühmt wurde Bruckner 1979 mit dem gemeinsam mit Alain Finkielkraut verfassten Essay über „Die neue Liebesunordnung“, in dem sie ähnlich wie Michel Foucault das populäre Schlagwort von der sexuellen Revolution zurückwiesen. Die vermeintlich befreite Sexualität, so ihre Behauptung, gebiert neue und andere Formen der Repression. Im Kontext einer forcierten und auf vielen Ebenen gesellschaftlich durchgesetzten Genderpolitik findet Bruckner seine früheren Überlegungen bestätigt und radikalisiert. Tatsächlich habe sich „die Sexualität von uns emanzipiert. (...) Wir leben in der Melancholie der postrevolutionären Zeit, in der der Liebesakt bis ins kleinste Element analysiert und letztlich als trügerisch und enttäuschend dekretiert wird.“