Zum Tod von Joan Didion: Ihre Sätze zischen wie Messer durch die Luft
Frankfurter Rundschau
Ihre Texte brachten die amerikanischen Verhältnisse auf den Punkt: Joan Didion ist mit 87 Jahren gestorben.
In den 70er Jahren hielt die US-amerikanische Schriftstellerin Joan Didion eine Rede an der University of California in Los Angeles. „Ich sage euch nicht, macht die Welt besser“, sagte sie. „Ich glaube, Fortschritt ist nicht Teil der Abmachung. Ich sage euch nur: lebt in ihr. (...) Und wenn ihr mich fragt, warum man sich damit herumschlagen soll, würde ich euch sagen, dass das Grab ein guter und abgelegener Ort ist, aber niemand, glaube ich, wird dort umarmt.“
Unaufgeregt veranschaulicht das, was Joan Didions Schreiben so anziehend gemacht hat. Für leicht zu erzeugendes Pathos war sie nicht zu haben. Obwohl es in all ihren Texten immer auch darum ging, die Welt tatsächlich besser zu machen, blieb sie doch skeptisch gegenüber jeder Form von Erweckung. Die Methode Didion besteht in der unvermittelten Entfachung eines zweiten Gedankens oder wie es die Potsdamer Schriftstellerin Antje Rávik Strubel im Vorwort eines Essaybandes kurz nach dem 11. November 2001 formulierte: „Die meisten Autoren erklären Emotionen, Didion zeigt sie. Sie offenbart sie. Sie wirft Messer. Ihre Sätze zischen durch die Luft, schnell, präzise, und dann sitzen sie treffsicher und leicht vibrierend im Holz.“
In dem Essayband „Im Land Gottes“ zielt Didions unbestechliche Aufmerksamkeit darauf, wie die US-Gesellschaft schon bald nach den Anschlägen auf die Türme des World Trade Center dabei war, sich einer inneren Mobilmachung hinzugeben. Am Erscheinungsbild New Yorks und seiner Bevölkerung meinte Didion wahrgenommen zu haben, dass das Ereignis in Beschlag genommen worden war, „um neuen Boden in alten Kriegen an der Heimatfront zu annektieren“. Der „Krieg gegen den Terror“ war von Präsident George W. Bush noch nicht ausgerufen, da hatte Joan Didion ihn bereits erspürt.