
"Von Propagandisten vergiftete Scheindebatte"
n-tv
Muss Deutschland die Laufzeiten seiner verbliebenen Atomkraftwerke verlängern, um seine Energieversorgung zu sichern? Diese Frage geistert seit dem russischen Angriff auf die Ukraine durch Politik und Wirtschaft. Eine Scheindebatte, für die Atomkraftexperte Mycle Schneider keinerlei Verständnis hat. Es sei verblüffend, wie tief und breit der Graben geworden ist zwischen der Wahrnehmung des Atomsektors und der Realität, erklärt der Herausgeber des "World Nuclear Industry Status Report" (WNISR) im "Klima-Labor" von ntv. Aus dem jährlichen Bericht zum Zustand der weltweiten Atomwirtschaft gehe eindeutig hervor, dass es nirgendwo eine sogenannte "Renaissance der Atomkraft" gebe, im Gegenteil: Selbst - oder vor allem - die Atomnation Frankreich leidet unter einer unsicheren Stromversorgung. Denn viele ihrer 56 Reaktoren fallen aufgrund von technischen Problemen und Sicherheitsmängeln regelmäßig für unbestimmte Zeit aus. Ein Großteil der Kapazität steht somit nicht zur Verfügung.
ntv: In Deutschland wird der Atomausstieg erneut infrage gestellt. Sie sagen, es handelt sich um eine Scheindebatte, die mit Mythen geführt wird. Mit welchen denn?
Mycle Schneider: Um alle Mythen abzuarbeiten, haben wir nicht genug Zeit. Kurioserweise hat diese Mythenbildung aber gerade in den letzten zwei, drei Jahren überhandgenommen. Ich arbeite seit über 40 Jahren an diesem Thema. Es ist wirklich verblüffend, wie tief und breit der Graben geworden ist zwischen der Wahrnehmung des Atomsektors und der Realität. Dazu gehören diese Scheindebatten, wie die Verlängerung des Betriebs der deutschen Atomkraftwerke - als könnte man Kernbrennstoff bei Aldi kaufen. So läuft die Industrie nicht.
Ist der nicht vorhandene Brennstoff der Mythos, der Sie am meisten stört?

Bei einer Pressekonferenz sagt Russlands Präsident Wladimir Putin, mit der Einstellung der Kampfhandlungen einverstanden zu sein, stellt allerdings Bedingungen. Zum Beispiel müsse vor einer Waffenruhe geklärt sein, ob die ukrainischen Soldaten in Kursk ihre Waffen niederlegten und kapitulierten. Zudem müsse eine Waffenruhe "zu einem dauerhaften Frieden führen und die tiefer liegenden Ursachen dieser Krise angehen", meint Putin. Diese Ursachen sieht Russland nicht in seinem Angriffskrieg, sondern in der Fähigkeit der Ukraine, sich selbst zu verteidigen und seine Existenz aufrechtzuerhalten. Von den seit über drei Jahren formulierten Maximalforderungen des Kreml, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Ende der Ukraine bedeuten würden, rückt Putin weiterhin nicht ab. Die Reaktionen auf den Plattformen X und Bluesky: