Verfall der Sitten
Frankfurter Rundschau
Romas Trainer Jose Mourinho kann nicht mit Anstand verlieren. Nach dem Finale beschimpft er den Schiedsrichter. Er sollte sich schämen.
Die Schlagzeilen nach dem Finale der Europa League gehörten dem Verlierer. Das ist bedauerlich. Denn José Mourinho hat sich mal wieder eklatant danebenbenommen. Der Coach des AS Rom, der immer noch unter der irreführenden Bezeichnung „Startrainer“ herumlästert, passte nach der Niederlage im Elfmeterschießen gegen den FC Sevilla den Schiedsrichter Anthony Taylor punktgenau vor dessen Abfahrt in der Tiefgarage der Puskas Arena ab, um diesem in unbotmäßiger Art und Weise sein Missfallen zu übermitteln. Es fielen die Worte „fucking disgrace“, was mit „verdammte Schande“ noch überaus freundlich ins Deutsche übersetzt ist. Beim englischen Referee Taylor handelt es sich übrigens um einen Mann, bei dem die Charakterisierung „Starschiedsrichter“ zurecht als handelsüblich angesehen werden darf.
Dass Mourinho seine Medaille als doch eigentlich ehrenwerter Zweiter dieser Europa League-Saison achtlos einem jungen Fan zuwarf, passt in ein Gesamtbild, das hochbezahlte Fußballprofis und deren Trainer vermitteln. Silbermedaillen werden traditionell mit derartiger Missachtung gestraft, dass die Protagonisten sie noch auf dem Podium schon wieder abzustreifen pflegen. Ein Verfall der guten Sitten. Und ein weiteres unzähliger Beispiele mangelnder Geisteshaltung in diesem Sport.
Aber es gibt auch Grund zu Lob: Der FC Sevilla hat in dem ja gerade erst angebrochenen Jahrtausend Erstaunliches geschafft. Die Andalusier gewannen nach 2006, 2007, 2014, 2015, 2016 und 2020 nun in Budapest bereits zum siebten Mal die Europa League, die bei den ersten beiden Triumphen noch unter der Überschrift Uefa-Cup firmierte. Jedes Mal, wenn die Spanier ein Finale erreichten, siegten sie. Es herrscht offenbar ein besonderer Europa-League-Spirit im Traditionsklub, der es auch regelmäßig in die Champions League schafft, allerdings nur, um dort in der Vorrunde oder spätestens im Viertelfinale auszuscheiden. Was angesichts der wirtschaftlichen Übermacht der Konkurrenz in der Königsklasse wenig verwunderlich ist.
Wie bemerkenswert die Erfolge in der Europa League für diesen einen Klub sind, zeigt sich auch bei einem Vergleich zur Bundesliga. Im selben Zeitraum, in dem der FC Sevilla sieben Mal die zweithöchste Wettbewerbskategorie im europäischen Fußball anführte, schaffte das aus Deutschland - Moment, mal eben zusammenzählen, dauert etwas - genau ein Verein: Eintracht Frankfurt 2022. Davor: Eine verlorene Finalteilnahme von Werder Bremen 2009, eine Niederlage im Endspiel für Borussia Dortmund 2002. Umso größer der Glückwunsch nach Sevilla: gut gemacht, Hombres, sehr gut sogar.