Ukraine im Gegenoffensive-Dilemma? Insider berichtet von Richtungsstreit mitten im Krieg
Frankfurter Rundschau
Die Gegenoffensive der Ukraine läuft bisher wenig erfolgreich, sagt selbst Präsident Selenskyj. Laut einer anonymen Quelle droht ein Richtungsstreit.
Kiew – Bisher geht im Ukraine-Krieg die Gegenoffensive des ukrainischen Militärs eher schleppend voran. Unter hohen Verlusten konnten die Truppen von Präsident Wolodymyr Selenskyj kleine Teile im Osten und Süden der Ukraine zurückerobern und dabei auch den russischen Invasoren erheblichen Schaden zufügen. Dieses mäßige Fazit gilt allerdings auch nach mehr als acht Wochen noch – während Russlands Stellungen vielerorts weiter standhalten. Auch Selenskyj selbst räumte bereits ein, dass die lange erwartete Gegenoffensive langsamer fortschreitet als gehofft.
Jetzt steht der ukrainische Präsident womöglich vor einem Dilemma: Riskiert er bei der Offensive weitere herbe Verluste oder setzt er auf Schadensbegrenzung - und riskiert damit eine politische Schlappe? In der ukrainischen Regierung jedenfalls scheint sich Unzufriedenheit über den ungenügenden Fortschritt auszubreiten, wie das US-Nachrichtenmagazin Newsweek in Erfahrung gebracht haben will. Diese Stimmen hätten zu Streit mit dem Oberkommando des Militärs geführt.
Während die eine Fraktion die wenigen Erfolge der ukrainischen Armee festigen und sich lieber auf eine russische Offensive im Herbst und Winter vorbereiten möchte, sieht es das Militärkommando anders: Oberbefehlshaber General Walerij Saluschnyj möchte die Gegenoffensive fortsetzen. „Es gibt definitiv einige Meinungsverschiedenheiten innerhalb der ukrainischen Führung über die Militärstrategie“, hat angeblich eine der ukrainischen Regierung nahestehende Quelle Newsweek verraten. Da diese Quelle keine Befugnisse gehabt habe, öffentlich zu sprechen, habe sie lieber anonym bleiben wollen, heißt es dort.
Die anonyme Quelle gab weitere Insider-Informationen aus den Reihen des ukrainischen Oberkommandos preis: „Auf der militärischen Seite gibt es Saluschnyj und andere – aber offensichtlich hat er das Kommando –, die weiter Druck machen wollen. Auf politischer Seite gibt es einige Fragen, ob diese Vorgehensweise am sinnvollsten ist. Ist es vielleicht sinnvoller, sich in einigen Bereichen nach Möglichkeit abzusichern, um die Versorgungslinien und Lagerbestände zu entlasten?“
Die Sorge westlicher Verbündeter über den langsamen Fortschritt der ukrainischen Armee und die Medienberichterstattung habe Druck auf Kiew aufgebaut. Daraus sei eine politische Debatte mit Schuldzuweisungen entstanden. Scheinbar habe das Militär zu positiv über die Gegenoffensive berichtet, was zur Unzufriedenheit einiger ziviler Regierungsbeamter führte, wie die Newsweek-Quelle berichtet: „Es besteht der Eindruck, dass sie vom Militär in Bezug auf den Erfolg dieser Gegenoffensive in die Irre geführt wurden und dass sie von militärischer Seite zu optimistische Einschätzungen erhalten haben. “