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Tausende Tote am Tag: Corona-Virus tobt in Russland – das steckt dahinter
Frankfurter Rundschau
Trotz tausend Toter am Tag lässt sich ein Großteil der Russinnen und Russen nicht impfen. Viele haben Angst vor dem Impfstoff Sputnik V.
Moskau - Wir sitzen in einem Moskauer Café, mein Bekannter Pascha, ein mit ihm befreundeter Oberarzt und ich. Pascha erkundigt sich, ob es nicht möglich sei, ihm eine Impfung zu bescheinigen, die Spritze aber in den Ausguss zu schießen. „Das geht leider nicht“, sagt der Mediziner und lächelt ausweichend. „Die Impfdosen sind verplombt und haben einen Strichcode.“ Was hätte er auch anders antworten können, mit einem Fremden am Tisch.
Paschas Unlust auf die Impfung gegen Corona ist kein Einzelfall. Jelena Spiridonowa, Moskauer Pharmazeutin, berichtet, wie sie sich in ihrer Poliklinik mit Sputnik V impfen ließ. „Das Impfteam bestand aus Medizinstudenten. Sie erzählten mir empört, viele Patient:innen würden Schmiergeld anbieten, damit sie den Impfstoff ins Waschbecken spritzen.“ Einer hätte umgerechnet mehr als 120 Euro geboten.
Covid-19 tobt in Russland wie nirgendwo sonst in Europa. Seit Monaten. Am 12. August stieg die tägliche Todesrate erstmals auf über 800 Opfer, vergangenen Freitag über 1000. Die Rate ist 55 Prozent höher als die bisher schrecklichsten – die indischen – Sterbezahlen. Der operative Stab der russischen Regierung zählte bisher gut 226 000 Covid-Tote. Das staatliche Statistikamt aber meldete allein von Januar 2020 bis August 2021 mehr als 417 000 Opfer. Laut dem unabhängigen Statistiker Aleksei Rakscha nähert sich die Corona-bedingte Übersterblichkeit der 800 000-Marke. 96 Prozent der Covid-Klinikbetten sind belegt. Gestern wurden 34 073 Neuinfizierte sowie 1028 Tote gemeldet, wieder ein neuer Antirekord.