Sie ist doch fast noch ein Kind
Frankfurter Rundschau
Wenn Kamila Walijewa, 15 Jahre alt, am Mittwoch als Gold-Mitfavoritin aufs Eis geht, werden viele in ihr eine Skandalfigur des russischen Dopingsystems sehen. Wie soll sie das aushalten? Ein Kommentar.
So ganz geklärt ist der Fall der Eiskunstläuferin Kamila Walijewa zwar noch nicht. Dennoch steht bereits fest, dass sich die Peking-Spiele damit einen gewaltigen und auch unabsehbar folgenschweren Skandal eingehandelt haben. Allein schon die Tatsache, dass die im Dezember genommene positive Dopingprobe erst bei Olympia bekannt wurde, nährt die dringende Mutmaßung, dass hier dunkle Machenschaften aktiv sind. Und einmal mehr offenbart sich, dass das weltweit – zu Recht – geächtete russische Sportsystem immer noch von Lug und Trug geprägt ist. Ebenso wenig nachvollziehbar ist, dass im Eiskunstlauf-Wettbewerb nun eine Russin um Medaillen kämpfen darf, die im gut begründeten Verdacht steht, gegen die Dopingregeln verstoßen zu haben. Doch am erschreckendsten ist, dass es hier um eine Eiskunstläuferin geht, die mit 15 Jahren fast noch ein Kind ist. Und rund um deren Person nun mit globaler Wucht ein Mediengewitter herniedergeht. Es stellt sich zwangsläufig die bange Frage: Wie soll Kamila Walijewa das nur aushalten?
Sogenannte Wunderkinder – und die extrem hochbegabte Kamila zählt sicher zu ihnen – haben generell meist einen hohen Preis zu zahlen. Sie opfern ihre Kindheit eisernem Training, sind oft den hohen Erwartungen der Erwachsenen (Eltern, Trainer, Fans) ausgeliefert, nicht wenige erleiden gesundheitliche oder psychische Schäden. Es ist tatsächlich unbedingt diskutierenswert, ob man es grundsätzlich verantworten kann, Minderjährige in den Arenen des Hochleistungssports auftreten zu lassen.
Von einer Schutzbedürftigkeit geht auch der Internationale Sportsgerichtshof CAS aus – und begründete damit das olympische Startrecht. Andernfalls stehe ein „irreparabler Schaden“ für Kamila Walijewa zu befürchten. Diese Logik ist nicht ganz frei von Widersprüchlichkeit. Es mag ja sein, dass die Faktenlage noch Zweifel birgt. Nur: Das CAS-Urteil erleichtert die dramatische Situation von Kamila Walijewa keineswegs. Im Gegenteil: Wenn sie am Mittwoch als Gold-Mitfavoritin aufs Eis geht, dann mit dem Gefühl, dass die ganze Welt auf sie schaut – und viele in ihr eine Skandalfigur des russischen Dopingsystems sehen. Der Druck, der da auf ihren schmalen Schultern lastet, wird tonnenschwer sein. Man kann der bedauernswerten Kamila nur wünschen, dass sie nicht daran zerbricht . Seite S1