Letters from L.A., Teil 2: Lone L.A.
Frankfurter Rundschau
Von freiwilligen Außenseitern und denen, die unter 4 Millionen Menschen zum Alleinsein verdammt sind. Von Claus Leggewie
Einsamkeit zeitigt das Originale, das gewagt und befremdend Schöne, das Gedicht. Einsamkeit zeitigt aber auch das Verkehrte, das Unverhältnismäßige, das Absurde und Unerlaubte“, schrieb Thomas Mann im „Tod in Venedig“. Einsam kann sich in Los Angeles fühlen, wer jüngst wieder keine Einladung zu Thanksgiving oder Christmas bekommen hat, wenn halb Amerika unterwegs ist, um Familie und Freunde zu umarmen. Alleinsein ist endemisch in Los Angeles, wo unterdessen jeder dritte Haushalt aus einer einzigen Person besteht und schon vor Corona das Homeoffice üblich war.
„All the lonely people“ verbringen den größten Teil des Tages und in Summe ihres Lebens vor Excel-Tabellen, Zoom-Konferenzen, Dating Services, Serien mit einem Abstecher ins Drive-in, wo man während der Wartezeit Mails checken kann. Übertrieben? Nur die Hälfte der befragten Einwohner von Los Angeles gab laut einer repräsentativen Studie an, täglich eine „sinnvolle Interaktion“ zu erleben. Zur Abhilfe werden Kurse angeboten, die einem wieder das fußläufige Aufsuchen einer Bar beibringen; bis vor kurzem konnte man auch einen „People Walker“ mieten, der bei Bedarf mit einem spricht. Aber die App ist stillgelegt.
Wer zu Fuß geht, trifft Leute. Die Straßen von Los Angeles sind allerdings nicht für Flaneure gedacht und vor allem in ärmeren Gegenden komplett baum- und schattenlos. Risikogebiete im Süden und Osten, wo außer den Infektionen auch die Kriminalität sprunghaft gestiegen ist, meiden Angelinos. Doch besonders leer, um nicht zu sagen tot, wirken die superreichen Quartiere von Beverly Hills aufwärts; man passiert meterhohe blickdichte Hecken und Tafeln mit Warnungen, hier würden Eindringlinge eventuell beschossen.