Giftiges Grün
Frankfurter Rundschau
Atomkraftwerke sind öko, grün, nachhaltig. Sie sollen von der EU dieses 1a-Label bekommen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ein Kommentar.
Strahlengefahr? Atommüll, der eine Million Jahre sicher endgelagert werden muss? Riesige Umweltschäden durch den Uranerz-Bergbau? Das alles scheint die EU-Kommission nicht zu interessieren. Sie stellt die Reaktoren ebenso wie neue Erdgaskraftwerke in ihrem „Taxonomie“-Vorschlag auf eine Ebene mit Solar- und Windkraftanlagen. Investoren sollen ihr Geld in die Atomkonzerne stecken können, weil sie damit ja etwas für das Ziel der Klimaneutralität tun - und das auch noch guten Gewissens. Absurder geht’s kaum.
Die Entscheidung war und ist umstritten. Die EU-Kommission hat sie erst verschoben und ihren Vorschlag nun just an Neujahr veröffentlicht, vielleicht in der Hoffnung, eine von den Silvesterfeiern noch etwas umnebelte Öffentlichkeit werde nicht richtig mitkriegen, was da läuft.
Tatsächlich ging es gar nicht um eine objektive Bewertung klimafreundlicher Energiealternativen, sondern um Industrie- und Machtpolitik. Vor allem Frankreich machte gewaltig Druck auf die Kommission, die Atomtechnik grün anzustreichen - jenes Land, das die Energiewende weitgehend verschlafen hat, bei Strom zu 70 Prozent vom Atom abhängig ist und dessen Präsident öffentlich einräumte, die zivile Kernkraft sei für Frankreich nötig, um Atommacht bleiben zu können.