Geflüchtete in Bayern: „Sind vor den Taliban geflohen, und hier sperren sie die Kinder ein“
Frankfurter Rundschau
Minderjährige Geflüchtete bedürfen besonderer Hilfe. Doch drei Jugendliche aus Afghanistan sind stattdessen in bayerischer Abschiebehaft gelandet.
München – September 2021, Landkreis Passau, Beamte der Bundespolizei halten einen aus Italien kommenden Wagen an. Drei der sechs Menschen darin sind minderjährig. Die Jungen im Alter von 15, 16 und 17 Jahren sind erst vor kurzem aus Afghanistan geflohen – mit einem der letzten Evakuierungsflugzeuge nach Rom. Sie wollen zu einem Onkel in Deutschlands Norden. Doch zwischen ihnen liegen nicht nur über tausend Kilometer, sondern auch das europäische „Dublin“-System. Außerdem steht in ihren Papieren fälschlicherweise, dass sie volljährig sind. Das hat Folgen. Die Polizei behandelt die Jungen wie Erwachsene, inhaftiert sie.
Der Fall der afghanischen Jungen ist ein Beispiel für „langes Behördenversagen“, sagte Sozialpädagoge Christian Oppl vom Münchener Flüchtlingsrat, der auch Landeskoordinator des Bundesfachverbandes unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ist.
2021 verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 3249 Asylanträge von minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten. Wie viele von ihnen bei der Ankunft in Deutschland falsch behandelt werden, ist unklar, ihre Fälle werden selten öffentlich.
Die Bundespolizeidirektion München, in deren Zuständigkeit das kontrollierte Fahrzeug im Landkreis Passau fiel, weist heute die Kritik am Vorgehen gegen die Jungen mit Verweis auf die Volljährigkeit in den Dokumenten der Kinder zurück. Inzwischen sind die Jungen in einer Jugendeinrichtung. Eine Menschenrechtsaktivistin und ein Hannoveraner Anwalt erreichten ihre Freilassung aus einer Erwachsenenhaftanstalt – nach zähem Ringen.
Die Odyssee der Jugendlichen beginnt im August 2021, als die Taliban die Macht in Afghanistan übernehmen. Auf drei Seiten berichtet die FR über die Menschen, die am 26. August am Kabuler Flughafen auf ihre Rettung warten. Unter ihnen sind Mohammad Arif Haidari und seine Angehörigen. Haidari ist ein Onkel der drei Jungen. Seine Familie sieht sich zur Flucht gezwungen, weil Talibankämpfer Tage zuvor die Redaktion der von Haidari geführten Nachrichtenagentur Roushd stürmten. Er stehe auf einer Todesliste der Taliban, erzählt er. Ein entsprechendes Dokument der afghanischen Sicherheitsbehörden liegt der FR vor. Haidari arbeitete zudem für den Stabschef des Präsidenten Ashraf Ghani, auch das bringt ihn in Gefahr.