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Dreieich: Heiligabend in guten – und in schlimmen Zeiten
Frankfurter Rundschau
100 Jahre alte Selfies unterm Weihnachtsbaum: Das Dreieichmuseum zeigt in seiner aktuellen Ausstellung einen faszinierenden Foto-Fund.
Weihnachten gilt als das Familienfest schlechthin. Heutzutage wird an den Feiertagen wohl milliardenfach geknipst und gefilmt, und kaum jemand bekommt diese Familienfotos je wieder zu Gesicht. Ganz anders war das bei Anna und (ja, er hieß wirklich so) Richard Wagner, einem Berliner Ehepaar, das im Jahr 1900 geheiratet hatte und bis 1945 jedes Jahr ein Selfie (ja, auch das ist nichts Neues) unterm Weihnachtsbaum schoss.
Das klingt erst einmal recht banal, doch Corinna Molitor, Leiterin des Dreieichmuseums in der Burg Hayn, kommt angesichts der kulturhistorisch so wertvollen und zugleich humorvollen Bilder ins Schwärmen. Denn die historischen Fotos – Richard Wagner bekam zu Beginn der Ehe eine Kamera geschenkt – erzählen auf eine besondere, sehr nachdenkliche Weise von dem Paar, das kinderlos blieb, aber den Fotos nach eine sehr liebevolle Ehe führte.
Sie zeigen bescheidenen Wohlstand, bittere Not und Kälte, einen sich ganz allmählich wandelnden bürgerlichen Geschmack und eben auch die große Geschichte im Hintergrund, die das Leben dieser kleinen Leute überschattete: Kaiserzeit, Inflation, Drittes Reich, zwei Weltkriege.