Chaos in Kasachstan: Lage in Almaty eskaliert – Schüsse und Fotos von Leichen
Frankfurter Rundschau
In Kasachstan haben die Regierungskräfte derzeit die Oberhand. Aber Staatschef Tokajew sieht nur aus wie ein Sieger – manche sehen das Land auf dem Weg zum Vasallenstaat Moskaus.
In Almaty wurde scharf geschossen. Videos zeigen wie Schützenketten, begleitet vom Geknatter automatischer Waffen im Stadtzentrum vorrücken. Und der Telegramkanal Kyragram liefert Aufnahmen von etwa 20 Körpern, die von weißen Tüchern oder schwarzen Säcken bedeckt in einem Korridor liegen, die Gesichter der Toten grausam entstellt. Nach Angaben der städtischen Behörden kamen dutzende Zivilpersonen um – und 13 Polizisten; zweien soll man die Köpfe abgeschnitten haben. Überprüfen lässt sich so eine Horrormeldung in diesen Stunden natürlich nicht.
Die Nacht auf Donnerstag scheint in Almaty die Lage eskaliert zu haben. Auch in anderen Landesteilen kämpften Oppositionelle gegen Regierungskräfte, nach Angaben des Staatsfernsehens mussten mehr als 400 Menschen im Krankenhaus, 62 davon auf die Intensivmedizin. Die Zahl der Toten ist ungewiss.
Am Donnerstagmorgen scheint es so, dass die Regierung die Initiative zurückgewonnen hat. Laut dem Portal Vlast sind allein in Almaty, mit 1,9 Millionen Menschen die größte Stadt Kasachstans, etwa 2000 festgesetzt. Auch das ausgebrannte Rathaus und der zwischenzeitlich besetzte Flughafen sind wieder in Regierungshand. Dort ist nach Angaben mehrerer Telegramkanäle bereits die erste Maschine mit russischen Fallschirmjägern gelandet. Sie gehören zu der „Friedenstruppe“, die die von Russland geführte „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS) nach Kasachstan in Marsch gesetzt hat.
Das ändert aber erstmal nichts am Widerstandsgeist in Kasachstan: Wieder gingen am Donnerstag in Almaty Hunderte auf die Straßen, bis zum Abend waren Schüsse da und dort zu hören. „Die nächsten zwei Tage werden entscheiden, ob Kasachstan wie das benachbarte Kirgisistan in ein Konglomerat sich bekriegender Regionalclans zerfällt“, schätzt der russische Politologe Juri Solosubow. „Oder ob die Proteste wie in Belarus so brutal unterdrückt werden, dass das Land danach international isoliert ist.“ Das Öl- und Uranland Kasachstan, das mit dem Westen gute Geschäfte macht, müsse das eine wie das andere vermeiden.
Zwischenzeitlich schien es, als kollabiere vor allem in Süden und im Westen des 18,7-Millionen-Seelen-Landes die Staatsmacht so kläglich wie das Denkmal des Altpräsidenten Nursultan Nasarbajew, das Aufständische in der Stadt Taldykorgan am Mittwoch niederrissen. In mehreren Städten wurden Polizeiwachen gestürmt – Waffengeschäfte auch. In Almaty besetzten am Mittwoch kaum hundert nur zum Teil mit Knüppeln Bewaffnete den Flughafen. „30 trainierte Sicherheitsleute hätten ausgereicht, um sie aufzuhalten“, meint ein ausländischer Augenzeuge. „Aber die gesamte Staatsgewalt war verschwunden.“ Die Angreifer, meistens alte oder junge Männer, hätten „Disziplin gezeigt“ und „zunächst keine Duty-Free-Läden geplündert“.