
Zum Tod von Bernard Haitink: Der ganz große Anti-Maestro
Frankfurter Rundschau
„Was machen wir da eigentlich?“ Zum Tod des Dirigenten Bernard Haitink, der 92-jährig in London gestorben ist.
Selbstvertrauen und Selbstkritik: Von dem einen hatte der Dirigent Bernard Haitink zu wenig, zumindest zu Beginn seiner Karriere; von dem anderen eher viel – eine eigenartige Mischung, wie man sie gerade in diesem Beruf Dirigenten selten findet. Trotzdem wurde der 1929 geborene Niederländer einer der ganz großen am Pult. Jetzt ist er, nachdem er vor zwei Jahren sein letztes Konzert in Luzern gegeben hatte – die 7. Symphonie von Anton Bruckner mit den Wiener Philharmonikern –, 92-jährig in London gestorben.
„Ich war als junger Dirigent viel zu gehemmt. Eigentlich anti-dirigentisch“, erklärte Bernard Haitink 2013 im FR-Gespräch, einem seiner letzten Interviews. „Es hat ein bisschen gedauert, bis ich genug Selbstvertrauen bekam. Es ist ja ein komischer Beruf. Was machen wir da eigentlich?“ – Luft sortieren, so nannte er seine Tätigkeit ironisch, dabei seinen Lehrer Ferdinand Leitner zitierend. Mit Blick auf die strengen Maestri seiner Generation war Haitink immer dezidiert zurückhaltend geblieben und skeptisch seinem Berufsstand gegenüber. Es sei gut, „dass die Zeit der altmodischen Pult-Primadonnen“ vorüber sei, sagte da einer, der von seinen Orchestern alles bekam, aber eben auf die andere Art.
27 Jahre lang war Haitink Chefdirigent des Royal Concertgebouw Orchestra, das ihn auch zum Conductor Laureate ernannt hat. Er stand dem Chicago Symphony Orchestra, dem London Philharmonic und kurzzeitig der Staatskapelle Dresden vor, er leitete die Royal Opera Covent Garden und die Glyndebourne Festival Opera, war Conductor Emeritus des Boston Symphony Orchestra. Und wie sein Kollege Claudio Abbado entdeckte auch Bernard Haitink im hohen Alter den Reiz der kleinen Besetzung. So arbeitete er seit 2008 mit dem Chamber Orchestra of Europe zusammen – er lege inzwischen viel mehr Wert auf Durchsichtigkeit. „kein unnötiger Pomp“, so der Dirigent 2013. „Viel Transparenz und wenig pauschal großer Klang: Ich finde es jetzt jedenfalls beinahe schwierig, auf ein normales Sinfonieorchester umzuschalten.“