
Zum Tod des Kinderbuch-Zeichners Ali Mitgutsch: Ins Wasser schubsen, damals und heute
Frankfurter Rundschau
Zum Tod von Ali Mitgutsch, der Kindern seit Jahrzehnten zeigt, was um sie herum so los ist.
Auch der Mensch, der bloß ein Bilderbuch betrachtet, hat eine puristische Seite. Es ist irritierend festzustellen, dass in das Freibad mittlerweile wohl eine stark geringelte Wasserrutsche eingebaut wurde. Es ist ebenso merkwürdig, dass die Kinder, die im großen Becken früher einen Kreis bildeten, an den Füßen versiert zusammenfindend, jetzt um einen großen Badereifen herumtoben. Umso länger man hinschaut, umso mehr hat sich verändert. Das freche Kind von heute liegt nicht mehr in der Sohne. Es wirft andere Kinder zwar noch ins Wasser, aber es schleudert sie nicht mehr direkt hinein – ein Junge hält oben fest, einer unten, saugefährlich –, während der Bademeister sich nicht kümmert, stubst es nur, während die Bademeisterin bereits die Trillerpfeife im Mund hat.
Wer den Lauf der Welt aufhalten will, den stört es irgendwo, dass sie auf den Bildern von Ali Mitgutsch nicht stillsteht. Zugleich heißt es, dass er immer weitergemacht hat und dass auch nächste und übernächste Generationen seine Bilder im Detail studieren. Auch sie wollen etwas von ihrem Leben darin wiedererkennen. Es muss nicht viel sein. Die Bilder von Ali Mitgutsch, die weder belehren noch lieb oder arg sein wollen, haben bei aller Action und Unmittelbarkeit den langen Atem der Fast-Zeitlosigkeit. Es ist die Fast-Zeitlosigkeit von alten niederländischen Bildern, auf denen Schlittschuhläufer übers Eis jagen, und seit Jahrhunderten lächeln die Leute, wenn sie sehen, dass da einer auf den Hosenboden gefallen ist. Und, ja, Luftballons, die auf dem Rummel verkauft werden, sehen heute anders aus (in den 70ern enorm: Hasenohren), aber auch jedes Kind erkennt sie doch noch, und wichtiger ist ohnehin das Riesenrad.
Denn Ali Mitgutsch, der das Zusammenleben der Menschen von oben zeigt (und gelegentlich, auch großartig: aufgesägt von der Seite), hätte darauf auch durch alte Meister kommen können. Er soll aber durch das Riesenrad auf der Auer Dult in München darauf gekommen sein. Vielleicht ist das wichtig, dass es mitten aus dem normalen Leben kam. Keinem einfachen zunächst, wie man liest. 1935 wurde er in München geboren, die Familie im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit bitterarm, das Kind auf dem Land, wohin die Mitgutschs vor den Bombardierungen fliehen, ein Außenseiter, Träumer, schlechter Schüler.
Das Zeichentalent tritt früh hervor, er studiert an der Akademie für das Graphische Gewerbe in München. Nach ersten Versuchen erscheint 1968 „Rundherum in meiner Stadt“, 1970 „Bei uns im Dorf“, 1971 „Komm mit ans Wasser“ und so weiter, Schlag auf Schlag. Heute sagt man Wimmelbücher dazu. Ali Mitgutsch wird berühmt.
Ali Mitgutsch, ein Name, der Kinder und Erwachsene erstaunt. Alfons hieß er zuerst (jetzt staunen nur noch Kinder), Ali Baba und den 40 Räubern verdankte er nach eigenem Bekunden den Spitznamen. Unter dem er in seinen Büchern weiterlebt wie ganz wenige. Gestorben ist er am Montagabend im Alter von 86 Jahren in München.