Zugvögel: Frühlingsboten auf leisen Schwingen
ZDF
Woran merkt man, dass der Frühling naht? Die sichersten Frühlingsboten kommen am Himmel.
Eines Tages ist es plötzlich da, dieses leise Geräusch schlagender Flügel und die trompetenähnlichen Schreie hoch über den Köpfen. Ein Blick nach oben, dann sind sie zu sehen: die Kraniche aus dem Süden.
"Papa, guck mal", ruft der Filius aufgeregt; Radfahrer bremsen, Spaziergänger recken die Hälse gen Himmel, manch einer zückt sein Smartphone für den Schnappschuss: Wie die Perlen einer Kette aufgereiht, überfliegt da eine Kranichformation nach der anderen die Köpfe der Umstehenden - allen voran ein Leitvogel, dem der ganze Schwarm aus Nordafrika kommend wie ein großes V folgt. V wie Victory - der gefühlte Sieg des Frühlings über den Winter.
Auf der Suche nach den besten Nahrungs- und Lebensbedingungen machen sich im Frühjahr und Herbst weltweit geschätzt 50 Milliarden Zugvögel auf die oft viele Tausend Kilometer weiter Reise. Allein über Deutschland fliegen nach Angaben des Bundesumweltministeriums rund 500 Millionen Tiere.Im Frühling kommen Kraniche, Wildgänse und andere Vögel aus wärmeren Gefilden in Afrika oder dem Mittelmeerraum zurück, um den Sommer in Mittel- und Nordeuropa zu verbringen. Das Zugverhalten ist in ihren Genen programmiert.
So automatisch die Tiere dem inneren Ruf zu folgen scheinen - ein Zuckerschlecken ist die Reise keineswegs. Gegenwind, Starkregen, die Futterengpässe durch landwirtschaftlich versiegelte Flächen sind noch die harmloseren Herausforderungen. In Mittelmeerländern wie Ägypten, Malta, Zypern und Italien werden manche Vogelarten in großer Zahl illegal gefangen und als Delikatesse verspeist oder nur zum eigenen Jagdvergnügen abgeschossen, wie der Naturschutzbund (NABU) beobachtet. Dennoch wagen sie immer wieder den Aufbruch in andere Gefilde.
Unbeirrt ihrer Bestimmung zu folgen, allen Widrigkeiten zum Trotz - für viele Menschen sind Zugvögel Vorbild und Inspirationsquelle. Ähnlich wie bei den Vögeln gibt es Menschen, die einfach losziehen müssen, die es nicht mehr aushalten - in ihrem gewohnten Leben, an ihrem angestammten Platz.
Alles stehen und liegen lassen, der Aufbruch in neue Gefilde, die Sehnsucht nach einem anderen Leben, wo es sich nicht nur überleben, sondern auch besser leben lässt - all das scheinen Zugvögel in Menschen anzusprechen. Erst recht, wenn die Tage länger werden und die Natur zu neuem Leben erwacht.
Deshalb lässt dieses Naturschauspiel wohl kaum jemanden kalt. Die Kraniche sind die ersten Boten dieser neuen Zeit, Frühjahrsmüdigkeit kennen sie nicht. Unbeirrbar treibt sie ihr Instinkt Tag für Tag 600 Kilometer weiter Richtung Norden. Sie lassen den Betrachter mit einem seltsamen Gefühl von innerer Heiterkeit und Gänsehaut zurück.