Zu viel Hilfe, um zu sterben, zu wenig zum Leben
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Bomben, die in unmittelbarer Umgebung explodieren, Fenster, die splittern, Museen, die kaputt, Träume, die zerstört sind - Sergey, ein ukrainischer Journalist, erzählt davon: Wie er Schutz im Badezimmer findet, nicht mehr arbeiten kann, und davon, wie einsam so ein Krieg macht.
Es ist drei Uhr morgens. Ich suche Schutz im Badezimmer und höre, wie die Fenster meiner Wohnung klirren. Ein ohrenbetäubender Knall! Am nächsten Morgen werde ich es sehen - ein Museum, zerstört von russischen Raketen, nur 500 Meter von meiner Wohnung entfernt.
Alltag in Odessa? Eher nicht. Wir haben uns zwar an ständige Luftalarme gewöhnt - sie hallen mindestens dreimal pro Woche durch die Stadt - aber wir alle dachten, Putin würde niemals sein geliebtes Stadtzentrum bombardieren. Doch er tut es. Sobald das Getreideabkommen endete, landeten Bomben nur wenige hundert Meter von meiner Wohnung entfernt. Wie wirkt sich das auf uns, die dort leben, aus? Es ist einfach der Horror. Zunächst dachten wir, Europa stünde hinter uns, die USA seien auf unserer Seite - es gab weltweite Demonstrationen gegen den Krieg. Aber neuerdings denken wir nur noch: Alle haben uns im Stich gelassen. Die Ukraine wird behandelt wie ein Koma-Patient: Es ist ihr nicht erlaubt zu sterben, aber sie wird auch nicht so unterstützt, dass sie wieder leben kann.
Hier in Odessa fühlt sich jeder als Ukrainer, egal in welcher Sprache wir sprechen. Wir debattieren heftig, wie willkürlich das Rekrutierungssystem geworden ist. Aber, und das ist der markante Unterschied zu einer Diktatur: In der Ukraine werden solche Dinge debattiert. Öffentlich. Wenn man nicht wie ich gerade alleine im Badezimmer hockt, um einen Bombenangriff zu überleben.