ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann: „Wir Täter waren ja auch irgendwie hauptsächlich Opfer“
Frankfurter Rundschau
Am Instagram-Projekt „Ich bin Sophie Scholl“ will Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royale zeigen, wie groß Deutschlands Defizite in der Erinnerungskultur sind.
Pünktlich am späten Freitagabend meldet sich Jan Böhmermann zurück. Im ZDF Magazin Royale soll es um das „Problem deutscher Erinnerungskultur“ gehen. Doch zunächst widmet er sich eilig den Themen der Woche. Beim Bezug auf den Antrittsbesuch von Olaf Scholz in Russland durften auch Sticheleien gegen Ex-Kanzler Gerhard Schröder nicht fehlen, der mit Äußerungen zum Ukraine-Konflikt auf sich aufmerksam macht. Was Deutschland in dieser Woche aber direkt betrifft, sind die Sturmtiefs „Ylenia“ und „Zeynep“. In Nordrhein-Westfalen blieben Schulen geschlossen – „ein bisschen übereilt, wenn Sie mich fragen. Wir wissen ja noch gar nicht, wie gefährlich so ein Sturm für Kinder überhaupt ist“. Wirklich subtil ist der Witz nicht. Und man könnte man meinen, so einen Vergleich zur Corona-Pandemie schon zigfach gehört zu haben.
Aber sei‘s drum. Zur eigentlichen Thematik findet Böhmermann in dieser Ausgabe glücklicherweise recht schnell. Im Fokus steht der Instagram-Account @ichbinsophiescholl, mit dem Nutzer „hautnah, emotional und in nachempfundener Echtzeit an den letzten zehn Monaten ihres Lebens teilhaben“ können, wie der SWR erklärt. „@ichbinsophiescholl ist ein spannendes Experiment, das junge Menschen erreichen“ und über die deutsche Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus aufklären soll, heißt es weiter. Die Beiträge sollen gezielt junge Leute ansprechen. Böhmermann findet, dass das Ganze nicht nur aufgesetzt, sondern mit Hinblick auf erhebliche Defizite in der deutschen Erinnerungskultur auch äußerst grotesk wirkt.
Mit Interviewschnipseln und Umfragen – sowohl aus der Nachkriegszeit als auch den letzten Jahren – zeigt Böhmermann, dass Deutschland in Sachen Erinnerungskultur einiges nachzuholen hat. Denn vielen Befragten hängt die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen zum Hals heraus. „So glauben knapp 36 Prozent der befragten Bundesbürgerinnen und Bundesbürger, ihre Vorfahren seien eher Opfer der NS-Herrschaft gewesen. 32 Prozent denken, ihre Vorfahren hätten potenziellen Opfern geholfen. Tatsächlich waren es wenige Nullkomma-Prozent“ (Zeit Online, 27.01.2021). Und laut einer neuen Umfrage von CeMAS finden 37,6 Prozent der Befürworterinnen und Befürweoter von Corona-Protesten, dass „die aktuellen Corona-Maßnahmen und die Politik mit der Zeit des Nationalsozialismus vergleichbar“ sind. Und Jan Böhmermann wird ungewohnt ernst. Für ein paar Sekunden schafft er es sogar, auf Scherze und Sarkasmus zu verzichten. Impfgegner geben sich etwa als Holocaust-Opfer aus? „Kompletter Wahnsinn“ sei das.
Kommt da ein Instagram-Account der NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl nicht zur rechten Zeit? Eben nicht, findet der ZDF-Mann. Anlass des Projekts eines Recherchebunds von SWR, BR, Vice und Co. ist es, junge Leute für Geschichte zu begeistern, ganz ohne drögen Geschichtsunterricht. Natürlich. Weil junge Leute überhaupt nichts verstehen, wenn es nicht im Format von Instagram oder Tiktok präsentiert wird.
Kurz droht sich die Sendung im Grotesken und auch historisch Ungenauen des Instagram-Accounts zu verlieren. Dass dort etwas fiktionalisiert und für ein breites Publikum anschaulicher gemacht wird, scheint eigentlich auf der Hand zu liegen. Spannend wird es aber, als Böhmermann tiefer in die Kommentarspalte eines Archivvideos von der Ostfront vorrückt, die so ziemlich das Gegenteil dessen darstellt, was der Account bewirken sollte. Viel zu viele Nutzerinnen und Nutzer teilen die Erzählungen ihrer Großväter, behaupten, dass diese an der Ostfront keine Verbrechen begangen hätten, oder bezeichnen sie gar als Opfer.