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Wortmeldungen-Preis im Literaturhaus: Das Leben ist größer
Frankfurter Rundschau
Der Wortmeldungen-Preis mit einer ungewöhnlichen Shortlist-Lesung im Frankfurter Literaturhaus.
Sie haben sicher eine Weile überlegt und sich dann Folgendes ausgedacht: Die erste Shortlist-Lesung zum Wortmeldungen-Preis der Crespo-Foundation wurde im Frankfurter Literaturhaus auf vier Räume verteilt. Das Publikum saß locker verteilt, die vier von der Shortlist, die Moderatorinnen, der Moderator zogen alle 20 Minuten um.
Führten sie jedes Mal das gleiche Gespräch? Jedenfalls wurde nicht gekichert, es gab keine Anspielungen. Das Publikum erlebte jeweils drei Runden und als viertes am Ende die Lesung eines Textes. Absagen musste die Nominierte Theresia Enzensberger, die darauf warte, sich freitesten zu können, wie Literaturhausleiter Hauke Hückstädt berichtete, dem der Orwell’sche Gehalt dieses neuen Begriffs nicht entgangen ist. Sein Schlenker dokumentierte übrigens, wie man etwas registrieren kann, ohne sofort loszuschimpfen.
Die Gespräche waren selbstredend zu kurz – im großen Saal ging am Ende immer knallhart das Licht an, um nicht aus dem Takt zu geraten –, aber sie hatten es in sich. Außerdem sind auch die Texte kurz, das gehört zum Wesen des Wortmeldungen-Preises. Deniz Utlu sprach über seinen Text „Der unsichtbare Hafen“. Utlu besucht den Hamburger Hafen am Jahrestag der Ankunft seines Vaters in Deutschland. Der Vater ist damals lebensgefährlich an Tuberkulose erkrankt, dem Sohn fällt auf, wie sich das Fragmentarische des gigantischen Hafens im Unzusammenhängenden einer Migrationssituation spiegelt.
Als Volha Hapeyeva 2019/20 als Stadtschreiberin nach Graz kam, ahnte sie nicht, dass sie in ihre belarussische Heimat vorerst nicht würde zurückkehren können. Derzeit lebt sie als PEN-Stipendiatin in München. „Die Verteidigung der Poesie in Zeiten des Exils“ heißt ihr Text, in dem sie nicht die Sprache, sondern die Poesie als ihr Zuhause definiert. Sprache, sagte sie, sei Freiheit, aber auch ein Gefängnis, sie sei manipulativ und manipulierbar. Inzwischen verhalte es sich bei ihr so: Wenn sie beim Schreiben in einer Sprache, sagen wir: Belarussisch, nicht weiterkomme, hoffe sie auf eine andere, vielleicht Deutsch oder Englisch. Das Leben sei größer als einfach geradlinig, hatte Deniz Utlu gesagt (oder sagte es in anderen Räumen vielleicht später).
Joshua Groß, dessen Text „Männer mit Waffen“ heißt und starke Neugier weckte, sprach beiläufig auch über die Ödnis des Internets und die Merkwürdigkeit, dass sich Menschen aktiv fühlten, weil sie etwas im Netz geschrieben oder kommentiert hätten. Valerie Fritschs Text „Die Dame mit dem Zuckerfuß“ war es, der im großen Saal (fast) komplett vorgelesen wurde. Eine klassische, beinharte Erzählung über eine an der Gewalt ihres unsympathischen Lebensgefährten allmählich zugrunde gehende Altenpflegerin. Packend, dann aber auch vordergründig. Anschließend wäre das eine perfekte Klagenfurt-Situation gewesen, jetzt nämlich bitte eine Diskussion. Aber schon war der Abend vorbei.