"Wir mussten schutzlos zusehen, wie Bomben auf unsere Häuser geworfen wurden"
DW
Der Krieg in der Ukraine weckt bei älteren Polinnen und Polen Erinnerungen und Traumata aus dem Zweiten Weltkrieg - und Solidarität mit den Menschen im Kriegsgebiet.
Gleich nach dem Aufwachen geht Wanda Traczyk-Stawska in ihr Wohnzimmer und schaltet den Fernseher ein. Jeden Morgen seit dem 24. Februar 2022. Als ob es ihre Pflicht wäre. Die 95-Jährige möchte wissen, ob die Ukrainerinnen und Ukrainer noch gegen die russischen Invasoren kämpfen. Sie will bei ihnen sein, wenn auch nur von ihrem Sofa aus.
Was Kämpfen heißt, weiß Traczyk-Stawska nur zu gut: Während des Warschauer Aufstands gegen die deutschen Besatzer 1944 war die damals 17-Jährige Soldatin der polnischen Untergrundarmee. Im Gespräch mit der DW versucht sie, sich Geräusche, Gerüche und Geschmäcke aus dieser schrecklichen Zeit zu vergegenwärtigen. Zeitweise schließt sie die Augen, spricht langsamer, als ob sie jedes Wort auskosten wolle.
"In den ersten Kriegstagen sah ich, wie die Deutschen einen Säugling erschossen", berichtet Wanda Traczyk-Stawska und senkt den Kopf. "Bis dahin hatte ich mir vorher nicht vorstellen können, dass es so böse Menschen geben kann." Ab diesem Tag habe sie erwachsen sein wollen, um kämpfen zu können.
"Ich hasse den Krieg, er ist die größte Dummheit der Menschheit", betont Traczyk-Stawska. Doch seit zwei Monaten ist sie wieder mit seinen Schrecken konfrontiert. "Lieber würde ich nicht mehr leben und das nicht durchmachen, aber wenn ich schon lebe, dann fühle ich mich verpflichtet zu kämpfen, und das kann ich nur durch einen Aufruf an die Welt tun: Helft der Ukraine!"
Traczyk-Stawska erinnert sich gut an das Gefühl, keine Unterstützung im Krieg gegen die Deutschen zu erhalten. Dass der Himmel über der Ukraine "offen" bleibt, sprich: keine Flugverbotszone beschlossen und durchgesetzt wird, erinnert sie an 1944. "Wir hatten damals gar keine Flugabwehr. Und mit einer Maschinenpistole kann man nun mal kein Flugzeug abschießen. Wir mussten also schutzlos zusehen, wie Bomben auf unsere Häuser geworfen wurden. Das ist unser größtes Trauma."