
Wiesbaden: Ein einstiger Lost Place wird zum Aufarbeitungsort
Frankfurter Rundschau
Die NS-Gedenkstätte „Unter den Eichen“ wird in den kommenden Monaten umgebaut, ihre Ausstellung neu konzipiert. Sie will die Unsichtbarkeit des Ortes thematisieren.
Wenn sich die Flugzeuge der Alliierten näherten, verließen die SS-Bürokraten ihre Ausweichbüros auf dem Gelände „Unter den Eichen“ am nördlichen Stadtrand von Wiesbaden und nahmen eine Treppe, die von dort zu einem Bunker führte. Der Bunker ist heute Gedenkstätte. Die Treppe gibt es noch. Inzwischen sind ihre Stufen schief und mit Moos bewachsen. Wenn in den kommenden Monaten die KZ-Gedenkstätte „Unter den Eichen“ umgestaltet wird, dann soll sie wieder sichtbar werden.
Wiesbaden war ein wichtiges Entscheidungszentrum der SS mit einer Reihe von Verwaltungseinheiten im Stadtgebiet. Nachdem sich seit 1942 die alliierten Luftangriffe auf das deutsche Reichsgebiet deutlich verstärkt hatten, suchten einige der SS-Dienststellen nach sicheren Ausweichmöglichkeiten am Stadtrand und wurden auf das Volks- und Sportplatzareal aufmerksam. Von 1932 bis 1939 war auf dem Reit- und Turnierplatz das Pfingstturnier ausgerichtet worden. Auch die Hitlerjugend und die NS-Frauenschaft, die Frauenorganisation der NSDAP, nutzten das Gelände. „Das war kein Kleinod“, sagt Dr. Katherine Lukat. Sie ist Leiterin des Sachgebiets Gedenkstätten im Stadtarchiv Wiesbaden und koordiniert den Umbau der Gedenkstätte.
Für den Bau der Ausweichbüros forderte Jürgen Stroop, seit November 1943 Höherer SS- und Polizeiführer Rhein/Westmark mit Sitz in Wiesbaden, Häftlinge aus dem SS-Sonderlager Hinzert im Hunsrück an. Stroop, Karrierist und Bürokrat durch und durch, hatte im Frühjahr 1943 von Heinrich Himmler persönlich den Befehl erhalten, den Aufstand im Warschauer Ghetto niederzuschlagen. Sein zynischer, brutaler Bericht darüber wurde später bei den Nürnberger Prozessen als ein Beweismittel für die NS-Verbrechen herangezogen.
Im Frühjahr 1944 trafen die ersten Häftlinge in Wiesbaden ein. Das Konzentrationslager „Unter den Eichen“, auf dem heutigen Gelände der Hochschule Rhein-Main gelegen, war organisatorisch ein Außenlager des KZ Hinzert und bestand aus fünf einfachen Holzbaracken umzäunt von Stacheldraht. Maximal 100 Häftlinge waren dort interniert, die meisten von ihnen luxemburgische Widerstandskämpfer, aber auch Niederländer, Franzosen, Belgier und ein Deutscher. Sie mussten barackenartige Ausweichquartiere für die SS- und Polizeidienststellen und einen Bunker bauen. Außerdem arbeiteten sie zeitweise in Wiesbadener Handwerksbetrieben mit oder mussten nach Bombardements bei der Trümmerbeseitigung helfen.
Der Bunker, den die Häftlinge selbst nicht betreten durften, sei nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst ein Lost Place gewesen, verschwiegen und vergessen, sagt Katherine Lukat. Die Häftlingsbaracken wurden bald nach Kriegsende abgebaut, später auch die Büros des nationalsozialistischen Verwaltungsapparates. Überlebende seien es gewesen, die auf den Ort und seine Geschichte aufmerksam gemacht hätten. Wiesbadens Oberbürgermeister Georg Buch (SPD), selbst Häftling im KZ Hinzert, setzte sich für den Erhalt ein.