
Wie sich Litauen von Russlands Energie befreit
DW
Eine neue Pipeline verbindet das Baltikum mit Polen und damit mit dem gesamten europäischen Gasnetz. Für Polen kommt sie zur rechten Zeit - für Litauen ist sie nur ein Baustein in einem größeren Plan.
In einem Acker beim litauischen Dörfchen Jauniūnai taucht die gelbe Pipeline hinter einem Zaun für ein paar Meter auf, um dann doch wieder nach unten abzuknicken und unterirdisch weiter zu verlaufen. Sonst bekommt man wenig von der hier beginnenden gut 500 Kilometer langen Gasleitung zu Gesicht, die seit neuestem Litauen und Polen miteinander verbindet. Wichtiger als ein paar gelbe Rohre unter blauem Himmel sind die drei Kompressoranlagen auf einem Betriebsgelände: Sie bringen das Erdgas auf den nötigen Druck, um es durch die Röhre bis hinter die polnische Grenze zu pressen.
Die "Gas Interconnection Poland-Lithuania" (GIPL) ist Bestandteil eines größeren Plans, Litauen gemeinsam mit den beiden anderen baltischen Staaten Lettland und Estland weiter in die Energie-Märkte der Europäischen Union zu integrieren. Früher habe das Baltikum als "Energie-Insel" innerhalb der EU gegolten, sagt Romas Švedas, früherer EU-Diplomat und Vize-Energieminister Litauens, heute selbstständiger Berater mit einem Lehrauftrag an der Universität Vilnius: "Die Bedeutung ist, die drei baltischen Staaten ins Energiesystem und das Pipeline-Netz Kontinentaleuropas anzubinden."
Damit ist die Aufgabe der GIPL-Pipeline umrissen: Anstatt wie im Falle des gesamten russischen Pipeline-Netzes den Rohstoff von der Förderstätte hin zum Konsumenten zu bringen, soll sie den Energie-Handel und den Ressourcenaustausch untereinander ermöglichen. Der Markt entscheidet, in welche Richtung das Gas gerade geleitet wird. Und weil Russland Ende April seine Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien von einem Tag auf den anderen gestoppt hat, fließt durch die GIPL-Pipeline seit ihrer Inbetriebnahme Anfang Mai das Gas in Richtung Polen.
"Die Pipeline verbindet das Baltikum mit dem übrigen Europa", erklärt der Präsident der Litauischen Vereinigung für Erneuerbare Energien, Martynas Nagevičius. "Das heißt, dass es auch die Probleme Europas mit dem Baltikum verbindet." Er rechnet dadurch mit weiteren Preissteigerungen im Baltikum, weil Westeuropa gerade im Rekordtempo die Abkehr von russischem Gas voranbringt und die Ressource dadurch knapp ist.
Dass die Röhre genau zu ihrer Fertigstellung so dringend gebraucht werden würde, dachte beim Baubeginn 2015 wohl niemand - nun dankte Polens Präsident Andrzej Duda bei einer Feier zur Inbetriebnahme allen, die zur termingerechten Fertigstellung beitrugen "in einer Zeit, in der wir wirklich die Gaslieferungen brauchen." Litauens Präsident Gitanas Nausėda sprach von "Energie-Erpressung aus dem Osten": "Russlands Krieg gegen die Ukraine hat unsere langjährigen Erfahrungen bestätigt: Russland war und ist kein verlässlicher Partner."