
Wie rettet man Impfstoffe vor dem Wegwerfen?
DW
Es scheint paradox: Noch immer sind viele Menschen weltweit nicht gegen das Coronavirus geimpft, gleichzeitig landen Millionen Impfdosen ungenutzt im Müll. Aber Überschüsse zu vermeiden ist nicht einfach.
Die Nachricht sorgte am Wochenende bei vielen für Empörung: In Deutschland sind nach offiziellen Zahlen von Dezember 2021 bis Ende Juni diesen Jahres 3,9 Millionen Impfstoffdosen des Herstellers Moderna verfallen - und müssen nun entsorgt werden. Die tatsächliche Anzahl der abgelaufenen Dosen könnte sogar noch deutlich höher liegen.
Die Informationen gehen aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Stephan Pilsinger hervor. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland forderte der CSU-Politiker daraufhin die Bundesregierung auf, das Steuergeld der Bürger "nicht sinnlos zum Fenster" hinauszuwerfen. Aber wie wird die Menge der zu bestellenden Impfstoffdosen überhaupt kalkuliert? Und wie könnte dafür gesorgt werden, dass weniger des wertvollen Guts am Ende ungenutzt bleibt und vernichtet werden muss?
Der Virologe Jeffrey V. Lazarus schreibt zusammen mit Kollegen im British Medical Journal (BMJ) von "unnötigen Wegwerfraten von bis zu 30 Prozent" in manchen Ländern. Als wichtigen Grund führt der Forscher die ungleiche Verteilung der Corona-Vakzine zwischen Ländern mit höheren und mittleren Einkommen und Ländern mit geringen Einkommen an. Erstere haben seit Beginn der Corona-Pandemie direkt bei Herstellern bestellt - und so den Versuch, die Impfstoffverteilung fair und effizient über die internationale COVAX-Initiative zu regeln, unterminiert. Nun würden gerade in diesen wohlhabenden Staaten die Impfraten stagnieren, heißt es weiter, so dass diese Überschüsse anhäufen.
Hätten also etwa die knapp vier Millionen überschüssigen Moderna-Dosen in Deutschland nicht einfach an andere Länder weitergegeben werden können? Ganz so einfach ist es nicht. Oft wurden in der Corona-Pandemie Impfstoffe erst an ärmere Staaten gespendet, als sie schon kurz vor dem Verfallsdatum standen. "Diese hatten dann kaum noch Chancen, die Vakzine rechtzeitig zu verimpfen, zumal sie oftmals mit logistischen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten", erklärt Michael Stolpe, der den Projektbereich "Globale Gesundheitsökonomie" am Kieler Institut für Weltwirtschaft leitet. "Und dann wurden eben auch dort Corona-Impfstoffe vernichtet, wo sie eigentlich am dringendsten gebraucht wurden."
Darüber hinaus scheint es derzeit so zu sein, dass COVAX gar keinen Bedarf nach neuen Spenden hat. Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums erklärte Anfang der Woche im Kontext der abgelaufenen Moderna-Dosen, dass "das globale Impfstoffangebot derzeit bei weitem die Nachfrage übersteigt". Die an COVAX beteiligte internationale Impfallianz GAVI äußerte sich auf Anfrage der Deutschen Welle dazu nicht konkret. Michael Stolpe glaubt, es könne sein, dass die Initiative aufgrund der allgemeinen Entspannung am Impfstoffmarkt derzeit genug Vakzine direkt von den Herstellern erhält. Damit fällt wohl das Spenden von Impfstoffdosen als sinnvolle Verwendungsmöglichkeit von Überschüssen aktuell weg.