Wie Erdogan die türkische Armee entmachtete
n-tv
Nach der Staatsgründung ist die Armee Teil der türkischen Identität. Mit mehreren Putschen, die vorgeblich Demokratie und Nation schützen, wird das Militär mächtiger. Dann kommen Erdogan und seine AKP an die Macht.
Jahrzehntelang ist das Militär eine selbstbewusste, mächtige Bastion der Türkischen Republik - die Soldaten gelten als sakrosankt. Obwohl nicht vom Volk gewählt, bewacht die Generalität die Fundamente des Staates, es lässt Ministerpräsidenten erhängen und macht Jagd auf Linke, Rechte, Islamisten und Intellektuelle. Die Generäle müssen manchmal nur drohen, um einen Rücktritt zu erzwingen - und sie werden dabei selbst eine Bedrohung für das Land, in dem die demokratischen Strukturen erst schwach ausgebildet sind.
Wer die Türkei verstehen will, muss die Rolle ihrer Armee verstehen. Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk ist ein gefeierter Kriegsheld, der auf den Trümmern des Osmanischen Reichs den modernen Nationalstaat erschaffen hat. Er schwört das Militär darauf ein, sein republikanisches Erbe zu verteidigen, gegen jeden religiösen Fundamentalismus vorzugehen und einen Zerfall der Nation zu verhindern. In der Bevölkerung genießt das Militär ein hohes Ansehen, weil es im Ersten Weltkrieg gegen die Alliierten und im Befreiungskrieg gegen die Griechen erfolgreich Widerstand geleistet hat. Ohne Militär würde es die moderne Türkei nicht geben.
Der Militarismus ist denn auch ein zentrales Narrativ im kemalistischen Nationalismus. Es geht dabei auch darum, das Trauma des "schwachen" Osmanischen Reichs zu überwinden; die Europäer nannten es im 19. Jahrhundert den "Kranken Mann am Bosporus". Die Redewendung "Türkün Türkt’ten başka bir dostu yoktur" ("Der Türke hat keinen Freund außer sich selbst") postuliert eine starke Nation angesichts eines Umfelds, das man als feindlich gesinnt wahrnimmt. Die Redensart "Her Türk asker doğar" ("Jeder Türke kommt als Soldat auf die Welt") legt den Türken den Militarismus schon in die Wiege.