
Wie entwickelt sich Russlands Krieg in der Ukraine?
DW
Was ist das langfristige Ziel Russlands? Und welche Möglichkeiten bleiben der Ukraine und dem Westen auf die Aggression zu reagieren? Ein Gespräch mit dem Russland-Experten Mathieu Boulegue.
DW: Ist die militärische Lage der Ukraine so hoffnungslos, wie sie scheint?
Mathieu Boulegue: Die Situation ist nicht ausweglos. Die ukrainische Armee hat den Vormarsch russischer Streitkräfte an einigen Stellen gebremst. Russland tut sich schwer damit, ukrainische Luftabwehrsysteme auszuschalten, außerdem kämpfen die Ukrainer um jeden Zentimeter Land. Das hat die erste Angriffswelle verlangsamt und abgeschwächt. Jetzt geht es darum, weitere Angriffe abzuwehren und zugleich eine ukrainische Gegenoffensive zu planen für den Fall einer großangelegten russischen Bodeninvasion. Aktuell befindet wir uns in der ersten Kriegsphase. Danach kommt es wahrscheinlich zum Einmarsch russischer Bodentruppen.
Können die Ukrainer Kiew halten?
Kiew befindet sich in einer sehr schwierigen Lage. Die russische Armee wird voraussichtlich versuchen, die Stadt einzukesseln, indem sie aus mehreren Richtungen vorstößt. Wir konnten beobachten, wie russische Truppen vom nördlichen Belarus nach Kiew vordringen. Zugleich ist anzunehmen, dass weitere Truppenteile von Osten kommend versuchen, die Stadt zu umzingeln.
Die Frage ist, ob Russland unter Zeitdruck steht und eine rasche Eroberung anstrebt, oder sich eine langfristige Belagerung leisten kann, während es seine Militäroperationen fortsetzt. Der Kampf um Kiew könnte schnell vorüber sein, oder in einen blutigen Belagerungszustand übergehen, je nachdem welches Ziel Russland verfolgt.