Wie die EU die Halbleiter-Branche fördern will
Süddeutsche Zeitung
Halbleiter sind gerade knapp. Um unabhängiger von Einfuhren zu werden, sollen die EU-Staaten und die Kommission mehr als 43 Milliarden Euro investieren. Zudem will die Behörde üppige Subventionen erlauben. Doch das ist umstritten.
Chips stecken in Autos, Küchenmaschinen und Handys. Die Halbleiter werden immer kleiner und leistungsstärker, doch im Moment sind sie knapp. Wegen dieses Mangels erwägt etwa Volkswagen, die Nachtschichten im Stammwerk Wolfsburg komplett zu streichen. Die EU-Kommission will nun die Chipentwicklung und -produktion in Europa kräftig ausbauen, damit die Versorgung künftig sicherer ist. Dafür sollen die Brüsseler Behörde und Mitgliedstaaten in den kommenden acht Jahren elf Milliarden Euro bereit stellen, zusätzlich zu 32 Milliarden Euro, welche die EU und die 27 Regierungen nach Angaben der Kommission ohnehin schon für die Förderung der Branche ausgeben wollen. Das kündigte Behördenchefin Ursula von der Leyen am Dienstag in Brüssel an.
Der Chips Act - so wird das Gesetz genannt - werde "ein Game Changer für die weltweite Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes sein", sagte die Deutsche. Folgenreicher als die elf Milliarden Euro dürfte die Entscheidung ihrer Behörde sein, in dieser Industriesparte die strengen Regeln für staatliche Subventionen großzügiger auszulegen: Regierungen sollen den Bau moderner Chipfabriken demnach üppig unterstützen dürfen. Voraussetzung ist, dass diese Werke technologische Vorreiter in Europa sind. Damit können EU-Staaten in einen Subventionswettlauf mit Ländern wie den USA, China oder Südkorea einsteigen. Einer der ersten Profiteure könnte Intel werden. Der amerikanische Chiphersteller will in Europa neue Werke hochziehen - wenn die Regierungen sich generös an den Kosten beteiligen. Auch Deutschland buhlt um den Zuschlag.
Im Gegenzug für all die schönen Hilfen wird die Kommission die Chipbranche jedoch strengeren Regeln unterwerfen. Die Behörde und die Regierungen wollen künftig die Zulieferketten überwachen. Werden Halbleiter mal wieder knapp, können die Mitgliedstaaten die Kommission bitten, Exportbeschränkungen zu verhängen. Dann müssten europäische Hersteller Ausfuhren in andere Kontinente genehmigen lassen. Vorbild sind die Exportkontrollen für Covid-Impfstoffe, welche die Behörde vor einem Jahr eingeführt hat.
Diese Ausfuhrkontrollen und das Schleifen der strikten Subventionsregeln sind umstritten - sowohl bei manchen EU-Regierungen als auch innerhalb der Kommission. Dem Vernehmen nach hielt die für Wettbewerb zuständige Vizepräsidentin Margrethe Vestager nichts davon, die Beihilferegeln großzügiger auszulegen. Am Dienstag betonte die dänische Liberale, dass die EU mit ihren "internationalen Partnern zusammenarbeiten wird, um Lieferprobleme künftig zu verhindern".
Der große Antreiber hinter dieser Initiative ist der französische Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Der frühere Top-Manager sagte, Versorgungssicherheit für die modernsten Halbleiter sei zu "einer wirtschaftlichen und geopolitischen Priorität geworden". Für ihn ist der Chips Act wichtig, um die strategische Autonomie der EU zu stärken. Der Begriff steht für die Bestrebungen Brüssels, Europa weniger abhängig von Schlüsseltechnologien aus Asien und Amerika zu machen. Da ist dann Klotzen statt Kleckern angesagt: Noch nie zuvor hat die Kommission ein derart großzügiges Förderpaket für ein einzelnes Produkt aufgelegt.