Wenn nicht jetzt, dann sehr lange nicht mehr
Süddeutsche Zeitung
Die Los Angeles Rams haben die Zukunft geopfert, um in dieser Saison den Super Bowl zu gewinnen, der in ihrem neuen Stadion ausgespielt wird. Kann es mit ihrem "Finale dahoam" klappen?
7500 Dollar. Das ist der Preis, der derzeit für das billigste Super-Bowl-Ticket ausgerufen wird. Völlig irre, natürlich, und doch irgendwie verständlich: Es gibt in Los Angeles nun mal genügend vermögende Leute, und für die gibt es die Aussicht auf einen "Super Bowl At Home". Finale daheim also, sollten die Rams das Endspiel der National Football League (NFL) erreichen; noch dazu in ihrem erst zu dieser Spielzeit eröffneten Tempel im Süden der Stadt, den sie direkt neben The Forum gebaut haben. Das ist jene legendäre Arena, in der die Showtime-Lakers in den 1970er- und 1980ern-Jahren Basketball-Titel gewannen; nun sollen - nein, müssen die Rams obsiegen. Die Los Angeles Times titelte, was jeder in der Stadt weiß: "Jetzt - oder sehr lange nicht mehr."
Der Druck ist immens vor dem Achtelfinale daheim am Montagabend gegen die Arizona Cardinals - auch weil die Football-Franchise tatsächlich ihre Zukunft geopfert hat, um in dieser Saison erfolgreich zu sein. Und so ist die Zusammenstellung des Kaders auch ein Lehrstück darüber, wie die NFL tickt, wie ein Verein dort erfolgreich sein kann - oder wie er all seine Chips zum falschen Zeitpunkt in die Mitte schiebt und pleitegeht.
Der letzte Spieltag der US-Footballliga bietet erstaunliche Wendungen: Pittsburgh und Las Vegas qualifizieren sich für die Playoffs der NFL - in letzter Sekunde. Von Jürgen Schmieder
Der amerikanische Sport ist, im Gegensatz zu den kapitalistisch geprägten Fußballligen Europas, eine recht sozialdemokratische Angelegenheit: Der Großteil der Einnahmen wird gleichermaßen auf alle 32 Franchises verteilt, es gibt eine Gehaltsobergrenze, und bei der Wahl der besten Nachwuchsspieler ist zuerst jener Verein dran, der in der Saison davor die schlechteste Bilanz verkraften musste. Es gibt also keine Möglichkeit, sich mit sehr viel Geld einfach eine Siegertruppe zusammenzukaufen (genauso wenig gibt es Klubs in finanziellen Nöten), die drei Strategien zur Verbesserung des Kaders sind also: Talentbörse, Tauschgeschäfte und cleveres Verhandeln mit vertraglosen Spielern.
Die Strategie der Rams, vereinfacht ausgedrückt: Pfeif auf diese Talentbörse und das Fördern junger Akteure! Sie haben, um Quarterback Matthew Stafford von den Detroit Lions zu erhalten, nicht nur ihren Stamm-Spielmacher Jared Goff (der sie 2019 noch ins Endspiel führte) nach Detroit geschickt, sie haben auch ihr Erstrunden-Wahlrecht in den kommenden zwei Jahren geopfert. Während der Saison holten sie noch Linebacker Von Miller von den Denver Broncos und gaben dafür ihren Zugriff auf die zweite und dritte Runde in der Talentbörse in der kommenden Sommerpause auf. Behutsames Basteln, umsichtiges Aufbauen? Nicht in Los Angeles, wo alles außer Titel und Spektakel nicht mit Pfiffen, sondern mit Desinteresse bestraft wird. Um morgen kümmern sie sich seit jeher erst morgen in dieser Stadt.