
Wenn das Leben zur Last wird
Frankfurter Rundschau
Die Hilfe beim Suizid ist nicht strafbar. Bleibt das so? Der Bundestag wird möglicherweise im Sommer über neue Regeln für die Sterbehilfe entscheiden / Eine Analyse von Karin Dalka
Gerda R. beendet ihr Leben im Alter von 92 Jahren. Nach fünf Schlaganfällen sieht die frühere Sekretärin den Zeitpunkt gekommen, sich zu verabschieden. Sie will auf keinen Fall einen weiteren Hirninfarkt erleben. Und auch eine palliative Behandlung ist für sie keine Option. Denn sie möchte „nicht in einem Dämmerzustand und völliger Abhängigkeit von pflegerischer und medizinischer Versorgung“ leben. Sie testet drei Wochen lang eine Kurzzeitpflege in einem als vorbildlich geltenden Heim. Doch ihre Erfahrungen bestärken sie in ihrem Wunsch, bis zuletzt autonom leben und selbstbestimmt sterben zu wollen. Mit ärztlicher Hilfe scheidet die alte Dame aus dem Leben.
Die Geschichte von Gerda R. ist im „Weißbuch Freitodbegleitung“ der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) dokumentiert. Sie ist ein typischer Fall. Die meisten Menschen, die der Verein an Sterbehelfer:innen vermittelt, sind sehr alt und schwer krank. Und sie haben eine klare Vorstellung davon, was ein Leben und Sterben in Würde bedeutet. Für sie gehört dazu, den Zeitpunkt ihres Todes zu bestimmen und sich bei klarem Verstand zu verabschieden. Ein tödliches Medikament soll sicherstellen, dass dies sanft und sicher geschieht.
Weil viele Hausärzt:innen dabei nicht mitwirken wollen, wenden sich Sterbewillige an die DGHS, Dignitas Deutschland und die Sterbehilfe Deutschland. 2022 halfen die drei Vereine nach eigenen Angaben zusammen etwa 570 Menschen beim Suizid oder vermittelten Sterbehelfer:innen, wie die FR auf Anfrage erfuhr. Im Vorjahr waren es 350 gewesen. Die Zahl steigt also, aber die Gruppe bleibt vergleichsweise klein, vor allem wenn man sie ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Suizide setzt: Jahr für Jahr nehmen sich in Deutschland mehr als 9000 Menschen das Leben, zumeist in einer akuten Krise, einsam und verzweifelt.
Die meisten von ihnen erhängen sich, andere stürzen sich in den Tod, sterben auf Bahngleisen. Solche „Brutalsuizide“ will die DGHS verhindern, die sich nicht als Sterbehilfe-Organisation versteht, sondern nur, wenn gewünscht, Suizidassistenz vermittelt und sich in allen Fällen von der Freiverantwortlichkeit des Todeswunsches überzeugt hat. Sie macht mit einer Telefonberatung Gesprächsangebote, um verzweifelte Menschen von einer Kurzschlusshandlung abzuhalten. Monat für Monat zählt der Verein zwischen 220 und 230 Anrufe.
Neuerdings sind einige darunter, die den Präsidenten Robert Roßbruch „überraschen und erschrecken“. Sie kommen aus dem Kreis der Vereinsmitglieder. „Die Ängste sind extrem“, sagt der Rechtsanwalt im Gespräch mit der FR. „Manche Menschen wollen ihr Ableben bewusst im Termin vorziehen, weil sie ein neues restriktives Gesetz befürchten.“