Was die deutsche Linke von Chile lernen kann
Die Welt
Kaum ein Präsident hat in Südamerika so viele Vorschusslorbeeren bekommen wie Chiles neuer linker Präsident Gabriel Boric. Einen bemerkenswerten Erfolg hat der ehemaligen Studentenführer jetzt schon verbucht. Denn der 36-Jährige bricht mit linken Tabus.
Der Stadtteil Santiagos, in dem künftig das politische Herz Chiles schlagen wird, ist ein typisches Mittelschichtsviertel. Im „Barrio Yungay“, wie sie in der Hauptstadt sagen, wird der 36 Jahre alte Gabriel Boric residieren. Kein Luxus, kein Schnickschnack, sondern eine durchschnittliche Nachbarschaft, wie es sie viele gibt in Santiago. Auch das ist eine Botschaft des neuen chilenischen Präsidenten, der am Freitag sein Amt als neues Staatsoberhaupt antrat.
Boric steht stellvertretend für eine neue selbstbewusste Linke in Lateinamerika, die für sich einen eigenen Politikstil und unabhängige Positionen vertritt. Er setzt auf ein gendergerecht besetztes Kabinett, seine Partnerin Irina Karamanos will ihre Rolle der „Primera Dama“ feministisch interpretieren, Chile soll Klima-Vorreiter werden. Doch das wirklich Spannende an Boric ist aus internationaler Sicht etwas ganz anderes: Der bewusste Bruch mit Tabus linker Politik, zu denen vielen der etablierten sozialistischen Köpfe nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Europa bislang der Mut fehlt.