Warum Putin sich vor Farben fürchtet
Süddeutsche Zeitung
Natürlich wünscht sich Wladimir Putin nicht eine dem Westen wirtschaftlich unterlegene Sowjetunion zurück. Und doch: Seit Jahrzehnten erodiert der Einfluss in den Nachbarländern. Es ist diese Entwicklung, die der Kreml rückgängig machen will.
Russland hat derzeit viele Wünsche auf einmal. In Genf wurde Außenminister Sergej Lawrow daher gefragt, was er sich am meisten wünsche: eine instabile, abhängige Ukraine oder neue russische Einflusssphären in Osteuropa.
Lawrow hat darauf nicht geantwortet. In seiner Darstellung ist es ohnehin stets der Westen, der andere Länder in seine Einflusssphäre zieht. Aktuell wirft er das der Nato in der Ukraine vor, der EU in Albanien und Serbien. Sogar in kasachische Angelegenheiten habe Washington nun seine Nase gesteckt, deutete Lawrow in Genf an. Die westliche Gemeinschaft, sagte er nach einem Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken, glaube wohl, "sie könne alles tun, und andere nur das, was sie ihnen erlaubt".
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Dabei erlaubt sich Moskau derzeit allerhand. Der Kreml hat mehr als 100 000 Soldaten in die Nähe der ukrainischen Grenze und unerfüllbare Forderungen nach Brüssel und Washington geschickt, Vertragsentwürfe für eine neue europäische Ordnung. Es ist Wladimir Putin, der anderen Staaten nun vorgeben will, was sie tun können - und was nicht. Vor allem betrifft das Länder auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion, die der Kreml "nahes Ausland" nennt.
Von ihnen erwartet er üblicherweise, dass sie seine Interessen bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Es geht Wladimir Putin nun zwar nicht darum, eine dem Westen wirtschaftlich unterlegene Sowjetunion zurückzuholen - obwohl er deren Zerfall mehrfach öffentlich bedauert hat. 2005 sprach er von der "großen geopolitischen Katastrophe des Jahrhunderts". In den Jahren zuvor waren die Präsidenten mehrerer früherer Sowjetstaaten nach Protesten gegen Wahlbetrug und Korruption zurückgetreten, nach der "Rosenrevolution" in Georgien, der "orangefarbenen Revolution" in der Ukraine, der "Tulpenrevolution" in Kirgisistan. Moskaus Einfluss bröckelt seit Jahrzehnten. Es ist diese Entwicklung, die Putin nun aufhalten, möglichst rückgängig machen möchte.