Von Ziel zu Ziel
Frankfurter Rundschau
Der SC Freiburg kann seine herausragende Saison in Pokal und Liga krönen. Absteigen können die Breisgauer ja kaum noch.
Am Wochenende ist sie geknackt worden, die 40-Punkte-Marke, Synonym für den sicheren Klassenerhalt in der Fußball-Bundesliga, und beim SC Freiburg hat man sich ehrlich gefreut und anschließend leicht verdutzt umgesehen. Toll, ein weiteres Jahr in Liga eins, aber Moment mal – was hat der Schnee dort hinten zu suchen, auf den Gipfeln der Vogesen? Müsste nicht irgendwie Mai sein, wenn wir die 40 Punkte haben, die Saison vorbei, der Schnee drüben im Elsass geschmolzen?
Ja, es ist alles ein wenig verwirrend. Am Samstag, nach dem 3:0-Heimsieg gegen Hertha BSC, hat ein Reporter das Naheliegende getan und SC-Trainer Christian Streich nach den Zielen für den Rest der Saison gefragt – jetzt, da das übliche Ziel Klassenerhalt abgehakt ist und noch erstaunlich viel übrig von der Saison. Als Fünfter liegen die Freiburger zehn Spieltage vor Schluss auf Europapokalkurs in der Liga, im DFB-Pokal können sie am Mittwoch (20.45 Uhr/ARD) beim Spiel in Bochum zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte das Halbfinale erreichen. Ziele? „Ja, ja, es gibt jede Woche ein neues Ziel“, antwortete Streich, diesmal gebe es sogar zwei Ziele in einer Woche mit dem Pokal und der Liga am kommenden Samstag bei RB Leipzig (punktgleich mit den Freiburgern auf Platz vier). Insofern: „Ich habe unendliche Ziele, 34 Spiele plus Pokal, mehr kann ich ihnen nicht bieten, tut mir leid.“
So freudvoll umständlich hat noch nie jemand „Wir schauen von Spiel zu Spiel“ gesagt.
Zurückhaltung ist eingeschrieben in die Vereins-DNA, doch diesmal kann sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass der SC Freiburg bereit ist, alle zu überraschen, inklusive sich selbst. Sprach Streich in der Hinrunde nach der knappen Niederlage im Spitzenspiel (sic!) beim FC Bayern noch ehrlich angesäuert davon, man solle ihn und sein Team in Ruhe lassen mit dem Gerede von der Champions League und „diesem Zeugs“, wie er es nannte, verschließt sich der ehrgeizige Fußballlehrer nun den reizvollen Perspektiven wenigstens insgeheim nicht. Er will das Maximum erreichen. Abgesehen davon rechnen sie in Freiburg natürlich immer damit, dass plötzlich ein Erdspalt aufgeht unter dem neuen Stadion, worauf der ganze Klub in ein höllisch verdrehtes Fußball-Paralleluniversum stürzt, in dem 40 Punkte nicht den Bundesliga-Klassenerhalt kennzeichnen, sondern den sofortigen, unumkehrbaren Abstieg in die Regionalliga, mindestens.
Sie können sich ja so ausgezeichnet Sorgen machen, die Freiburger, aber zurzeit fällt es dann doch eher schwer. Zu gut passt alles zusammen. Das neue Stadion ebnet den Weg in die Zukunft, die Mannschaft zeigt sich als eine Art Idealversion Freiburger Kaderbildung. Ehemalige Talente aus der eigenen Jugend, die zu gestandenen Bundesligaprofis gereift sind (wie Stratege Nicolas Höfler und Linksverteidiger Christian Günter), treffen auf aktuelle Talente, die sich nicht zu fein sind, bereits in der Gegenwart für Furore sorgen (wie Innenverteidiger Nico Schlotterbeck und der rasend schnelle Offensivmann Kevin Schade). Dazu kommen Außenseiter, die womöglich nur im Fußballbiotop Freiburg ausreichend Zeit, Ruhe und Vertrauen bekommen konnten, um sich auf Erstliganiveau zu behaupten (wie Angreifer Lucas Höler und Rechtsverteidiger Lukas Kübler). Ein fußballerisch wie torwartspezifisch überragender Torwart (Mark Flekken) und ein spielfreudiger Antreiber (Vincenzo Grifo) schaden ebenfalls nicht.