Von Brüssel zurück nach Oslo
Süddeutsche Zeitung
Der Nato-Generalsekretär wird nach seiner Amtszeit im Dezember der Chef der norwegischen Zentralbank.
Nein, aus dem Staub macht er sich nicht. Auch wenn die Nachricht zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt kommt: Mitten in der Russland-Ukraine-Krise gibt der Nato-Generalsekretär bekannt, dass er sich einen neuen Job gesucht hat - Jens Stoltenberg wird Chef der norwegischen Zentralbank. Allerdings wird er dort erst im Dezember antreten, dann ist seine Amtszeit bei der Nato längst vorüber. Sie endet im September.
Alles, was Sie heute wissen müssen: Lesen Sie im kostenlosen SZ am Morgen & Abend Newsletter die Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion.
Statt vor der Welt über russische Aggression und Europas Freiheit zu parlieren, wird Stoltenberg in Zukunft also den Norwegern die Feinheiten der Leitzinserhöhung erläutern. Was klingt wie der Rückzug eines 62-jährigen Staatsmannes von der Front in warme Amtsstuben, ist in Wahrheit ein Abenteuer: Dem Mann, der sich mit seiner sachlichen und effizienten Art bislang vor allem Freunde gemacht hat, bläst in Oslo gerade scharfer Gegenwind um die Ohren.
Es sind die Umstände seiner Ernennung, die in Norwegen für Aufregung gesorgt haben. Tatsächlich findet man kaum einen, der nicht betont, dass Stoltenberg bestens qualifiziert ist für seine Aufgabe. Er ist Ökonom und versierter Kommunikator, er bringt nicht nur internationales Gewicht und Durchsetzungsvermögen mit, er hat auch volkswirtschaftliche Erfahrung im Gepäck: aus seiner Zeit als Finanzminister und später als Ministerpräsident des Landes von 2000 bis 2001 und von 2005 bis 2013.
Da liegt dann aber auch schon das Problem. Die politische Unabhängigkeit der Zentralbank ist gesetzlich festgeschrieben. Jens Stoltenberg ist seit einem halben Jahrhundert der erste Ex-Politiker, der zum Zentralbankchef gemacht wird. Mehr noch: Er ist ein Sozialdemokrat, der von einer sozialdemokratischen Regierung berufen wird. Tatsächlich war Stoltenberg als Ministerpräsident einst Vorgesetzter des heutigen Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre. Vielen roch das Ganze nach Vetternwirtschaft und einem norwegischen "Old Boys Club", vor allem, als dann noch vertrauliche Abendessen mit Ölfonds-Boss Nicolai Tangen bekannt wurden.