Verdeckte Mobilmachung? - Wie Russland neue Soldaten rekrutiert
DW
Moskau will im Krieg gegen die Ukraine die Lücken in der russischen Armee schließen. Noch wurde keine Generalmobilmachung ausgerufen, aber es gibt Zeichen dafür, dass Soldaten rekrutiert werden - auf verschiedenen Wegen.
Entgegen verschiedener Prognosen hat Moskau auch nach fünf Monaten Krieg gegen die Ukraine bisher keine Generalmobilmachung ausgerufen. Im Kampf befinden sich Berufs- und Zeitsoldaten sowie Angehörige privater Sicherheits- und Militärunternehmen. Eingesetzt werden auch Männer, die von den selbsternannten "Volksrepubliken Donezk und Luhansk" im Donbass rekrutiert wurden. Statt in einer allgemeinen Mobilmachung Rekruten einzuziehen, suchen die Einberufungsämter offenbar aktiver denn je nach Zeitsoldaten und nehmen wohl auch Wehrpflichtige ins Visier, heißt es aus verschiedenen Kreisen.
Alexander, der seinen echten Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen möchte, ist Veteran und lebt seit Jahren nicht mehr in Russland. In seinem Pass steht aber noch seine russische Meldeadresse, unter der seine Eltern weiterhin leben. Diese erhielten vor kurzem eine an ihren Sohn gerichtete Vorladung des örtlichen Einberufungsamtes.
"Seit mehr als 20 Jahren bin ich bei dem Amt gelistet - seit ich als Soldat beim Militär war. Ich bin Veteran und weiß nicht, womit das zusammenhängt. Vermutlich ist das eine verdeckte Mobilmachung", sagt Alexander. Er selbst verurteilt den russischen Angriff auf die Ukraine. Wenn er noch in Russland wäre, dann würde er nach einer solchen Vorladung versuchen, das Land schnellstens zu verlassen, sagt er.
Offenbar erhalten zunehmend Russen Vorladungen, die beim Militär waren und kampferfahren sind. Im russischen sozialen Netzwerk VK wird das Thema derzeit breit diskutiert - Betroffene tauschen Ratschläge aus, wie man am besten auf eine Vorladung reagieren sollte. "Mein Sohn ist am 14. Juni zum Amt gegangen. Sie haben sich seine Ausweise angeschaut und gefragt, ob er einen Vertrag wolle. Dann haben sie ihn gehen lassen", schreibt Anna im Netzwerk VK. Sie ist Mitglied einer Frauengruppe in Archangelsk.
Der Menschenrechtler Alexander Gorbatschow berät Wehrpflichtige. Er beobachtet seit Kriegsbeginn - und besonders seit einem Monat - eine verstärkte Suche nach Zeitsoldaten. "Früher wurde nur Wehrpflichtigen und Männern, die freiwillig zum Amt kamen, ein Vertrag angeboten. Massenweise Anrufe und Vorladungen gab es nicht", sagt er.