Urknalltherapie
Die Welt
Eine Witwe findet keinen Schlaf mehr. Den ohrenbetäubenden Lärm, der sie quält, hört nur sie selbst. „Memoria“ ist ein magischer Trip, wie man ihn vom Regisseur Apichatpong Weerasethakul im Kino erwartet. Doch das Syndrom, von dem er erzählt, ist real.
Die Frau hat einen Knall. Genau wie wir, die wir im Kino sitzen und plötzlich von einem markerschütternden Donner aus dem gemütlich depressiven Arthouse-Dämmer gerissen werden. Die Frau, deren Umriss im diffusen Gegenlicht sofort erkennbar wird als der einer geisterhaften Tilda Swinton, hört diesen Knall in den unpassendsten Momenten: beim Erwachen, mitten im Gespräch oder auf der Straße. Doch der Wumms ist nicht real, er tobt nur in ihrem Kopf. Ist es eine Krankheit? Oder eine Erinnerung? Nur woran?
In „Memoria“ schickt der für „Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“ 2010 mit der Goldenen Palme ausgezeichnete thailändische Regisseur Apichatpong Weerasethakul die verwitwete und schlaflose Botanikerin Jessica (Swinton) auf eine Reise durch Kolumbien. Sie trifft dort auf ihre Schwester, die im Krankenhaus liegt, sich nicht an Jessicas früheren Besuch erinnert und mitten im Gespräch einschläft. Später erkundigt sich Jessica nach Blumen-Kühlschränken, in denen „die Zeit stehen bleibt“, blättert durch einen Band über Pflanzenkrankheiten und begegnet einer Anthropologin, die Skelette untersucht: Beim Tunnelbau durch die Anden sind sie zum Vorschein gekommen.